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Text des Monats

Monat 12/2023:
Dezemberabbel von Karin Ruppert

Nicht weit von hier ein Apfelbaum weit

Karin Ruppert
Karin Ruppert

Das Gedicht Dezemberabbel der pfälzischen Autorin Karin Ruppert ist Mundarttext des Monats im Dezember 2023, darauf hat sich das Kolloquium der Bosener Gruppe verständigt. Der Text wurde ausgesucht, so Karin Klee, Autorin und Sprecherin der Gruppe, weil sein poetischer Blick auf die winterliche Natur die reale Distanz zwischen viel Zuviel und viel Zuwenig verdeutlicht.

Zur Bosener Gruppe gehören:

Über den ausgesuchten Text schreibt die saarländische Autorin Hildegard Driesch:

Karin Ruppert (1936-2017) wurde mehrfach mit Preisen für ihre Texte in Bockenheim und Dannstadt ausgezeichnet. Für ihr Buch „Lewensscheier“ (Lebensscheune), dem dieser Mundarttext des Monats entstammt, erhielt sie 1998 in Bockenheim den Dr.Wilhelm Dautermann-Preis. Wie die Scheune – zu den Zeiten, als die Landwirtschaft in den Dörfern und Städten noch allgegenwärtig gewesen ist – die als Aufbewahrungs- und Lagerort des Tierfutters und mancher Lebensmittel diente, so bewahrt die Autorin ihre Erinnerungen in ihrer „Lebensscheune“ auf, vermutlich Erinnerungen an gute und an sehr schlechte Zeiten. Im Jahr 1936 geboren war sie eines der vielen Kinder, die durch den Krieg und die anschließenden Hungerjahre um ihre Kindheit betrogen worden sind.

Zwanzig armselige Äpfel hängen im Astgewirr eines bereits entlaubten Baumes. Wer hätte beim „Tannensammeln“, beim Auflesen abgebrochener Äste und Zapfen in feuchtem Nebel, einem spätherbstlich-unansehnlichen Apfelbaum mehr als einen bedauernden Blick zugeworfen? Wer hätte gar einen dieser kleinen, eiskalten Äpfelchen gepflückt, um es zu essen, wo man doch im Supermarkt die Äpfel der Handelsklasse A ohne Makel schon um die drei Euro pro Kilo kaufen kann? Wie sorglos knabbern unsere Kinder an einem solchen herum, werfen ihn nur „halb gegessen“ weg.

Das Tor ihrer Erinnerunsscheune hat sich der Autorin beim Anblick dieses vergessenen Obstes geöffnet. Ihr ist dieses kalte Stück, dieses bescheidene Äpfelchen noch essenswert, gewärmt an ihrer Zunge, abgenagt bis zu den Spelzen. Ihre Gedanken sind zurückgegangen in die Zeit, als ein solch kleiner, überreifer Apfel eine Kostbarkeit darstellte. Vielleicht erinnert sich sich der blank-polierten Äpfel auf dem weihnachtlichen Gabentisch, die allein durch ihren Glanz besonders wertvoll schienen.

Äpfel, so vielseitig zu verwerten, welcher Segen wären sie den hungernden Kindern in den Kriegsgebieten dieser Erde, wenn sie, frisch gepflückt vom Baum in der Nähe, aufgegessen werden könnten.

In der letzten Strophe des Gedichts wünscht Karin Ruppert den hungrigen Kindern vom Christkind einen Apfelbaum in der Nähe – und mehr. Satt und lebensfroh sollen sie leben dürfen, die jungen Menschen in den Kriegsgebieten, das ist der Weihnachtswunsch der Autorin.

Leider wissen wir, dass aus Wünschen oft keine Wirklichkeit wird.

Dezemberabbel

En Abbelbaam im Newwel–Suddelwetter –
Mer sammlen Tanne, de Advent fangt aa –
Im Äschtel–Dorchenanner uhne Blätter
mit än’re Haut wie dinnes rotes Ledder
hänken noch Sticker zwanzich Äbbel draa.

Die Zäh verschrecke vor dem kalte Bisse,
ich wärm des nasse Stickel mit de Zung,
ich spuck’s net aus, ich hätt e schlecht Gewisse,
ich suckel langsam un hab denke misse
an Kinnerzeit un Kriegserinnerung.

Du, Kind, du schmeischt eweg en dicke Grutze,
bischt satt halt vun de Brotzeit, willscht net viel,
ich duh adächtich Stick fer Stickel schlutze,
ich duh des ganze Äbbelche verbutze,
spuck bloß die Spelzle aus un loß de Stiel

un denk an eich, ihr Hungriche – wu sin ehr?
Gar net weit in de weite Welt do drauß!
Winsch eich im Kriegsgebiet, ihr arme Kinner,
vum Chrischtkinnel e Abbelbäämche hinner
de nägschte Eck, net weit vun eierm Haus!

Karin Ruppert