Text des Monats

Monat 12/2022:
Dezember von Gerd Runck

Der Pappeln Röntgenbild

Das Gedicht Dezember des aus dem pfälzischen Landau stammenden Autors Gerd Runck ist Mundarttext des Monats im Dezember 2022, darauf hat sich das Kolloquium der Bosener Gruppe verständigt. Der Text wurde ausgesucht, so Karin Klee, Autorin und Sprecherin der Gruppe, weil der ungeschönte Blick des Autors auf die Winter-Wirklichkeit erst erstaunen lässt, dann ein erstaunliches Vergnügen möglich macht.

Zur Bosener Gruppe gehören:

Über den ausgesuchten Text schreibt der Autor und Sprecher der Bosener Gruppe Peter Eckert:

Ein Stimmungsbild im Dezember? Poetisch verglühendes Herbstbunt an der Schwelle zum Winterweiß, rauer Wind, welkes Laub wirbelnd, die Amsel, der in dieser Zeit die Sangeslust vergeht, letzte Rose, wie blühst du so einsam …

Freilich, „romantische Melancholie“ könnte er auch, Gerd Runck aus Landau, einer der unbestritten Großen der pfälzisch-rheinfränkischen Mundartdichtung. Aber es reizt ihn, die elegische Stimmung immer wieder ins Alltäglich-Profane kippen zu lassen, und so entsteht in realistisch-ironischer Mischung ein Bild des Dezembers, das eben nicht das Gemüt einlullt, aber zweifellos auch zutrifft: Der verlorene Handschuh im Brombeergestrüpp, das Röntgenbild der Pappeln am Ufer der Queich, die im Wiesenweg jetzt sichtbaren Kippen, der wegen üppiger Ernte noch nicht verkaufte Wein.

Da ist es doch tröstlich, dass drinnen der Kinderchor singt, während draußen, „juchhee“, aufs alte Jahr leise der Schnee rieselt. Zu einem leichtem Schmunzeln reicht das doch auch, oder?

Dezember

Em Herbscht sei Farwe sinn veglieht.
En raucher Wind jaacht welke Blärrer
de Padd entlang. Kä Amsellied,
känn Mickewalzer. ’s Johr werd mied.
De Winter spitzt sei weißi Ferrer.

Vegessne Dahlje hängken Kepp;
hänn abkriecht näichte … aus. – Vefrore
ach d’ allerletschte Rouseknepp.
– Waß hot im kahle Brämbeergstrepp
der Hängsching jetzert noch velore?

Die Belle drunne an de Quääch:
E Röntsche-Bild vun Knoche, Rippe!
E arweitslousi Vöchelschääch
veschlooft de Daach. De Wissewääch
zäihlt läärich d’ Zigarettekippe.

Im Doorf ziehcht’s kaum änns naus uff d’ Gass’.
die Liechtfrää un de Briefbott missen.
Im Stall freßt ’s Viech jetzt Hää statts Graß.
De Wei’ licht u’vekääff im Faß,
weil d’ Hännler nit wuhi mim wissen.

De Bauer kratzt sich hennerm Ohr,
sei Frää, die stoppt schun ’s fimft Paar Socke,
im Radjo singt en Kinnerchor.
Voorm Fenschter sträät ins alte Johr
e dicki Wolk’ ganz dinne Flocke …

Gerd Runck