Text des Monats

Monat 07/2022:
Bombedebbich von Günter Speyer

Übers Überleben und den Tod

Das Gedicht Bombedebbich von Günter Speyer ist Mundarttext des Monats im Juli 2022, darauf hat sich das Kolloquium der Bosener Gruppe geeinigt. Dieser Text wurde ausgewählt, so Karin Klee, Autorin und Sprecherin der Gruppe, weil das darin beschriebene persönliche Erleben dabei helfen kann, eindeutig und unmissverständlich Stellung zu beziehen.

Zur Bosener Gruppe gehören:

Über den ausgesuchten Text schreibt der Autor und Sprecher der Bosener Gruppe Peter Eckert:

Bei aller Erschütterung, die der verbrecherische Eroberungs- und Vernichtungskrieg in unserer osteuropäischen Nachbarschaft hier im – vielleicht nur scheinbar – sicheren Westen auslöst, hat das Geschehen wohl für viele von uns etwas Unwirkliches. Man weiß, es ist wahr, was die schrecklichen Nachrichten berichten, dennoch sträubt man sich innerlich dagegen, dass so etwas heute möglich sein soll. So dankbar man dafür sein kann, hier keine eigenen Erfahrungen einbringen zu müssen, sollte doch nicht vergessen werden, dass das Weltgeschehen für viele Menschen früherer Generationen – auch aus unserem Land – weitaus weniger glimpflich verlief.

Es gibt nur noch wenige Zeitzeugen, die aus eigem Erleben berichten können, was es heißt, von der Kriegsmaschinerie erfasst zu werden und ihr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein. Einer von ihnen ist Günter Speyer, geboren 1927 in Pirmasens. Zwei erst im hohen Alter veröffentlichte Bücher befassen sich mit diesem Themenkreis: Im Vorjahr erschien der schriftdeutsche Bericht „Mein Krieg“, beginnend mit dem Kriegsausbruch, so wie ihn der 12jährige erlebte. Bereits 2007 schuf er mit dem Band „Mit Leib un Seel erlebt – Gedichde gege s Vergesse“ eine mahnende Chronologie der Stationen vom ersten Schuljahr 1934, schon geprägt von Nazi-Indoktrination, über Jungvolk, Hitler-Jugend, Wehrertüchtigungslager, Flakhelfer an wechselnden Orten zwischen Saarbrücken-Burbach und Wiesbaden (hierauf bezieht sich das vorgestellte Gedicht).

Der Einziehung zur Waffen-SS glücklich entgangen – muss er 16jährig zum Reichsarbeitsdienst in die Steiermark nahe am jugoslawischem Partisanengebiet, daher schon bewaffnet. Dann, als die Front im Westen schon nahe ist, wird er 17jährig in den Osten als Soldat zur Flak in Schlesien geschickt, wo er zwei Wochen vor Kriegsende in russische Gefangenschaft gerät. Er gehört zu den Überlebenden (den „Glücklichen“ könnte man sagen, wenn dieses Wort hier nicht völlig deplaziert wäre), die schwer geschädigt nach harten Jahren „schon“ Ende 1947 wieder in der Heimat sind. Gerade 20jährig und damit damals noch nicht volljährig.

Sein Gedicht „Bombedebbich“, 60 Jahre später entstanden, vermittelt auf packende Weise wenigstens ein Gefühl dafür, was Gewalt, Unrecht und Krieg jenseits aller – zum Glück wohl nur in Kreisen Unbelehrbarer – stellenweise wieder aufflackernden einschlägigen „Romantik“ heißt, wenn man sie nicht nur aus sicherer Entfernung kommentiert, sondern am eigenen Leibe auszuhalten hat.

Bombedebbich

(Flugplatz Wiesbaden-Erbenheim – 09.09.1944)

E Debbich is
gemänerhand ebbes Wääches,
Warmes un Kuschliches.
Mir Pälzer han
im Winder
sogar änner im Bett.
E Bombedebbich fallt
vum Himmel runner
un denoo sieht ma
bloß noch die Trichder
vun de Inschlääch.

Wie die Bomb
vor mir hochgang is,
hawwich noch
denne Blitz gsieh
un glei druf de Dreck,
wie er in die Luft gfloo is.
Ich hab net emol
denne Knall richdich geheert.
Ich hab bloß noch gemerkt,
dass mich ebbes
uf de Boddem zieht
un Erdbolle uf mich falle.

Mir warn um unser Lewe gerennt.
Meins hawwich derfe behalle.
Der wo hinner mir war,
hat seins verlor.

Günter Speyer

Aus: Günter Speyer – Mit Leib u Seel erlebt, Gedichde gege s Vergesse (2021)