Text des Monats

Monat 12/2021:
Durch’s Schlisselloch gespitzt von Liesl Ott

Als das Warten noch geholfen hat

Das Gedicht Durch’s Schlisselloch gespitzt der rheinfränkischen Autorin Liesl Ott ist Mundarttext des Monats im Dezember 2021, darauf hat sich das Kolloquium der Bosener Gruppe verständigt. Der Text wurde ausgesucht, so Karin Klee, Autorin und Sprecherin der Gruppe, weil es einen nostalgischen Ausflug in eine Zeit ermöglicht, die es in dieser geduldigen Vorfreude auf etwas, das ein glückbringendes Geheimnis birgt, in dieser Form heute kaum mehr gibt.

Zur Bosener Gruppe gehören:

Über den ausgewählten Text schreibt die Autorin Relinde Niederländer:

Liesl Ott erblickte am 25. November 1900 in Zweibrücken das Licht der Welt. Nachdem sich ihr ursprünglicher Berufswunsch, Schauspielerin zu werden, infolge der Zeitereignisse nicht erfüllen ließ und sie zunächst als Erzieherin tätig war, entdeckte sie im Alter von 50 Jahren ihre Liebe und ihr Talent zum Schreiben von Mundartgedichten. Ab 1953 beteiligte sie sich am alljährlich stattfindenden Bockenheimer Mundartdichterwettstreit und war dort insgesamt zwölfmal erfolgreich. Sie wurde zur vielbeachteten Autorin und hat mehrere Gedichtbändchen herausgebracht, wobei ihr bekanntestes Gedicht wohl „Die Knoppschachtel“ sein dürfte. Sie verstarb im Alter von 82 Jahren, leider fast erblindet, im Seniorenheim „Am Rosengarten“ in Zweibrücken.

In ihrem Gedicht „Durch’s Schlüsselloch gespitzt“ beschreibt Liesl Ott in gefühlvoll gestimmter Weise ihre kleine Welt drei Tage vor Heiligabend, die allen nicht mehr ganz jungen Menschen heute in Gedanken noch präsent sein dürfte. Gab es doch für Kinder das ungeduldige Warten vor einem verschlossenen Zimmer, in das das Christkindchen unter strengster Geheimhaltung seine Gaben niederlegte, noch bis fast in die 70-er Jahre. Erst zur Bescherung am Abend, nachdem das Klingelchen ertönte, durfte man die Weihnachtsstube andächtig betreten. Und dieser Weihnachtsduft, man stelle sich die Tanne mit den brennenden Wachskerzen sowie die Schale mit Anis- und Zimtplätzchen vor, man hat ihn beim Lesen des Gedichtes heute noch in der Nase!

Durch’s Schlisselloch gespitzt

Ich han durch’s Schlisselloch gespitzt,
das war ganz wunerbar!
Es hat so silberich geblitzt –
ob das es Chrischkind war?

Ich han e ganzi Weil gelauscht,
ob ma’s net redde heert.
Es hat geknischtert und gerauscht
als hätt’s mer schun beschert.

Es hat no Gutselcher geroch,
no Wachs un Tannegrien …
Un dann han ich durch’s Schlisselloch
was Helles leichte siehn.

Was werd nur unner’m Bäämche stehn,
wann Weihnachtsowend is?
Noch dreimool muss ich schloofe gehn,
dann weeß ich’s ganz gewiss.

Liesl Ott