Text des Monats

Monat 10/2020:
D’ Wuert ass e Bam von Daniel Laumesfeld

Die lebendige Wurzel des Wortes

Das Gedicht D’ Wuert ass e Bam des aus Lothringen stammenden Poeten Daniel Laumesfeld ist Mundarttext des Monats im Oktober 2020, darauf hat sich das Kolloquium der Bosener Gruppe bei einer Tagung geeinigt. Der Text wurde ausgesucht, so Karin Klee, Autorin und Sprecherin der Gruppe, weil darin das Engagement eines Menschen für die in ihm wohnende Muttersprache Wort für Wort zum Ausdruck kommt.

In ihrem „Bosener Manifest“ hat sich die Arbeitsgemeinschaft für rhein- und moselfränkische Mundart zum Ziel gesetzt, die Mundarten der Region in ihrer herausragenden Wertigkeit und Schönheit zu würdigen. Als eine der selbstverständlichen Konsequenzen hieraus soll die Dialektsprache als Möglichkeit einer anspruchsvollen literarischen Gestaltungsform präsentiert werden. Preiswürdige Texte werden jeweils auf Vorschlag der Mitglieder der Bosener Gruppe ausgewählt und juriert. Einziges Entscheidungsmerkmal ist die literarische Qualität eines Textes. Zur Bosener Gruppe gehören:

Über den ausgewählten Text schreibt der Autor und Musiker Jo Nousse:

Daniel Laumesfeld kam im Jahre 1955 in einem kleinen Dorf im lothringischen Dreiländereck zur Welt. Im Jahr 1976 wurde er im Kampf gegen das AKW Cattenom aktiv. Genau aus dieser Zeit stammt sein Bewusstsein und sein Engagement für seine „Mammesprooch“ und für die Kultur. So komponiert er Lieder und schreibt Gedichte in Luxemburger Platt, seiner Muttersprache, und hat damit wesentlich zum Entstehen des Kulturvereins „Wéi laang nach?“ und dessen Aktionen beigetragen.

Auch die in den 1980er Jahren berühmte Musikgruppe „GEESCHTE­MAT?“ wurde von ihm gegründet.

Seine universitäre Arbeit („Recherche sur le comportement bilingue d’un groupe restreint“) und sein Doktorat in Soziolinguistik in der Sorbonne/Paris („La diglossie en Lorraine luxembourgeophone. Pratiques. Idéologie“) beweisen seine Kreativität, ebenso jedoch seine Leidenschaft für eine in Frankreich im Austerben begriffene Sprache, seine Sprooch. Daniel Laumesfeld wurde von der Stadt Thionville als interkultureller Mitarbeiter eingestellt und gründete in diesem Rahmen die Forschungszeitschrift „Passerelles“.

Er verstarb im Alter von 36 Jahren.

Die meisten seiner Bücher, u.a. „La Lorraine francique“ und „Récits, chansons et poèmes franciques“ (beide beim Verlag L’HAR­MAT­TAN/Paris) sind nach seinem Tod erschienen. Im Laufe der Jahre gab es Lesungen und sogar ein Spektakel zu Ehren seines Schafens und seiner Werke. Die Ausstellung „Daniel LAUMESFELD, le voyageur enraciné“, ermöglicht vom Kulturamt der Stadt Sarreguemines, beschreibt anschaulich sein kurzes reiches Leben. Das Werk von Daniel Laumesfeld hat noch heute einen großen Einfluss auf die gesamte kulturelle und sprachliche Bewegungen in diesem Teil Lothringens.

Sein Gedicht „D’Wuert ass e Bam“ zeigt ihn als einen Dichter, der die Wurzeln seiner Muttersprache tief in sich spürt und für sie zu kämpfen bereit ist.

D’ Wuert ass e Bam

Wéi e Bam 
Verstëppt d’ Wuert seng Wuerzel 
Déif an engem schwaarzen a räiche Grond 
– an deem Grond wou ënner mäim Häerz wirbelt 
– oder a mäim Mo
Wou jäitscht a kräischt 
Grad sou wéi en ugebonnen Hond! 

So nëmme kee Wuert 
Hu se mer gesot 
– soss wäerdscht de d'Sprooch 
Vum Bengel a vum Kitche kennen 
A sou hu se mech wéi en Hond ugebonn 
– aarmséilegen Hond …

Awer den Hond gëtt rosen an e baubscht! 
An de Gaart wou d'wëll Liewe geplanzt ass 
ziddert a mäim Mo 
a mäim Bauch 
a mäim Häerz 
– dee fiichte Buedem, dee wou d'Wuerzel wiermt 
Geet op wéi ee zäidegt Lidd 
An da blitt d' Wuert wéi ee kräftege Bam 
– da schléit et op wéi en Déier 
Wou een ze laang mat gro Werker,
doud Stied
a rose Polizeien 
gefiddert huet!

Daniel Laumesfeld

Das Wort ist ein Baum

Wie ein Baum
Verbirgt das Wort seine Wurzel
Tief in schwarzer und reicher Erde
– der Erde, die unter meinem Herzen wirbelt
– oder in meinem Magen
Da jault es und heult
Grad’ wie ein Hund an der Kette!

Kein einziges Wort mehr
Haben sie zu mir gesagt
– sonst wirst du die Sprache
von Knüppel und Knast kennenlernen
Und so haben sie mich wie einen Hund angekettet
– einen armseligen Hund.

Aber der Hund wird wütend und er bellt!
Und der Garten, in dem das wilde Leben gepflanzt ist
zittert in meinem Magen
in meinem Bauch
in meinem Herzen
– der feuchte Boden, der die Wurzel wärmt
Öffnet sich wie ein reifes Lied
Und dann blüht das Wort wie ein mächtiger Baum
– dann platzt es auf wie ein Tier
Das man zu lange mit grauen Taten,
toten Städten und dem
Wüten der Polizei
gefüttert hat!

Daniel Laumesfeld in deutscher Übersetzung von Jo Nousse