Text des Monats

Reline Nieder­länder
Reline Nieder­länder

Monat 06/2020:
Mei Peddi­kott-Zeit von Reline Nieder­länder

War einmal ein Rock mit breitem Schwung

Das Gedicht Mei Peddi­kott-Zeit der saar­län­di­schen Au­to­rin Reline Nieder­länder ist Mundarttext des Monats im Juni 2020, darauf hat sich das Kolloquium der Bosener Gruppe bei einer Tagung geeinigt. Der Text wurde ausgesucht, so Karin Klee, Autorin und Sprecherin der Gruppe, weil darin ein sehr persönlicher und unverkrampfter Blick auf ein Stück erlebter Jugend zwischen Enge und Aufbruch geworfen wird.

In ihrem „Bosener Manifest“ hat sich die Arbeitsgemeinschaft für rhein- und moselfränkische Mundart zum Ziel gesetzt, die Mundarten der Region in ihrer herausragenden Wertigkeit und Schönheit zu würdigen. Als eine der selbstverständlichen Konsequenzen hieraus soll die Dialektsprache als Möglichkeit einer anspruchsvollen literarischen Gestaltungsform präsentiert werden. Preiswürdige Texte werden jeweils auf Vorschlag der Mitglieder der Bosener Gruppe ausgewählt und juriert. Einziges Entscheidungsmerkmal ist die literarische Qualität eines Textes. Zur Bosener Gruppe gehören:

Über den ausgewählten Text schreibt der saarländische Autor und Sprecher der Gruppe Peter Eckert:

Als Lena vor zehn Jahren in Oslo in ihrem ESC-Siegersong „Satellite“ erzählte, sie trage „ihm“ zuliebe blaue Unterwäsche, beschrieb das keinen allgemeinen Trend und setzte wohl auch keinen neuen in Gang. Ganz anders ein halbes Jahrhundert früher, als Conny Froboess im Filmlied „Teenager Melody“ ein weibliches „Drunter“ besang. „Die Pullis blau und gelb und rot, zum Rock den neuen Petticoat!“ Schon im Ruhezustand weit schwingend, beim Tanzen mit jeder Drehung noch weiter und höher, gehörte er offenbar untrennbar zum Selbstgefühl einer Mädchengeneration.

Der neue Schwung im richtigen Leben, zumal für Mädchen, fiel eher bescheiden aus. Allenfalls änderte sich – und auch das nicht immer kampflos – ein bisschen die äußere Erscheinung: Stöckelschuhe (wie man High Heels damals noch nannte), Pferdeschwanz, das „gute Kleid“, mit dem man selten genug zum Tanzen kam – und natürlich der Petticoat. Ein Freund mit Vespa, fast schon Luxus. Volljährig erst mit 21. Und dazu das höchste Ziel für eine weibliche Person: Einen Mann zu „angeln“, standesamtlich verbrieft bei ihm unterzuschlüpfen, dankbar, nun lebenslang „versorgt“ zu sein. Und das ging, wenn’s sein musste, sogar „minderjährig“ mit Unterschrift „des Vaters“.

Relinde Niederländer hat das alles selbst erlebt, ihre Jugendzeit fiel in die Blütezeit dieser Verhältnisse. So entsteht in ihrem Gedicht „Mei Peddikott-Zeit“ aus wenigen, mit Bedacht gewählten und genau platzierten Worten ein eindrückliches, lebendiges Bild dieser Jahre mit ihrer unübersehbaren Enge und der Freiheit, die mit Trinken von Cola und Hören von Elvis schon fast ausgereizt war. Und tatsächlich gipfelt die lapidare Beschreibung im nicht sehr glücklich gehörten Schlusssatz „S' iss unner!"

Mei Peddi­kott-Zeit

In Steggelschuh 
erinngezwängt,  
de Peddikott  
nie weit genungg.
Fa de Elvis geschwärmt  
unn Cola getrungg.  

Beim erschde Freind 
uff’em Roller gehuggt,  
de Päärdsschwanns hat 
m Wind geweht.
Deheem an de Wand
die Blummedabbeed.

Zweemool im Johr
uff Dannsmussigg
im beschde
Sunndaasschdaad.
Mei Klääd
war aus Brokaad.
Sechs Daa die Wuch  
geschafft 
wie bleed. Es Geld
deheem  
uff de Disch geleet.

Mett eenezwanzisch
erscht alt genungg,
um selbscht 
se unnerschreiwe.
Mett neinzee wollt ich
bei’em bleiwe.
Hann nett gewaat,
kenn Zeit gehatt,
ich hann geglaabt
an Wunner.
Unn’s hat gehääß:
„’S iss unner!“

Reline Nieder­länder