Text des Monats

Ursula Kerber
Ursula Kerber

Monat 03/2019:
Wénter­geféihl von Ursula Kerber

Sprache schützt vor Eis und Schnee

Das Ge­dicht Wénter­geféihl der saarländischen Autorin Ursula Kerber ist als Mund­art­text des Mo­nats im März 2019 aus­ge­wählt wor­den. Da­rauf hat sich das Kol­lo­qui­um der Bo­se­ner Grup­pe bei ei­ner Ta­gung ver­stän­digt. Der Text wur­de aus­ge­wählt, so Pe­ter Eckert, Au­tor und Spre­cher der Grup­pe, weil er aus schein­ba­rem Nör­geln über ba­na­le Win­ter­pla­gen be­ein­dru­ckend la­pi­dar ech­tes Er­schre­cken über mensch­li­che Käl­te formt.

In ih­rem „Bo­se­ner Ma­ni­fest“ hat sich die Ar­beits­ge­mein­schaft für rhein- und mo­sel­frän­ki­sche Mund­art zum Ziel ge­setzt, die Mund­ar­ten der Re­gi­on in ih­rer her­aus­ra­gen­den Wer­tig­keit und Schön­heit zu wür­di­gen. Als ei­ne der selbst­ver­ständ­li­chen Kon­se­quen­zen hieraus soll die Dia­lekt­spra­che als Mög­lich­keit ei­ner an­spruchs­vol­len li­te­ra­ri­schen Ge­stal­tungs­form prä­sen­tiert wer­den. Preis­wür­di­ge Tex­te wer­den je­weils auf Vor­schlag der Mit­glie­der der Bo­se­ner Grup­pe aus­ge­wählt und ju­riert. Ein­zi­ges Ent­schei­dungs­merk­mal ist die li­te­ra­ri­sche Qua­li­tät ei­nes Tex­tes. Zur Bo­se­ner Grup­pe gehören:

Über den aus­ge­such­ten Text schreibt Ka­rin Klee, Au­to­rin und Spre­che­rin der Bo­se­ner Grup­pe:

Wenn Ur­su­la Ker­ber, die ru­hi­ge Beo­b­ach­te­rin des Le­bens und der Din­ge, schrei­bend zu er­zäh­len be­ginnt, ist da kein Wort zu­viel. Sen­si­bel, fast zu­rück­hal­tend zeigt sie dem Le­ser, dass ei­ne Sa­che nie nur ei­ne ein­zi­ge und ein­deu­ti­ge Sei­te be­sitzt, son­dern vie­le Schich­ten auf­weist, die es zu ent­de­cken gilt. Und ge­nau­so ver­hält es sich auch mit Ur­su­la Ker­bers Ge­dich­ten.

In dem Text „Wén­ter­ge­féihl“ geht es um mehr als um ei­ne jah­res­zeit­li­che Be­trach­tung in poe­ti­schen Bil­dern. Da spricht je­mand von den kal­ten Zei­ten, die er wäh­rend sei­nes Le­bens in viel­fäl­ti­ger Form er­le­ben, er­tra­gen und be­wäl­ti­gen hat müs­sen. Aber es schwingt kei­ne Kla­ge mit, hier wird nicht ge­ha­dert, denn so ist das Le­ben eben. Man könn­te mei­nen, da­mit wä­re nun al­les ge­sagt. Doch Ur­su­la Ker­ber sieht und fühlt noch mehr. Bei al­ler Selbs­t­er­kennt­nis und Ein­sicht ge­lingt es ihr, den Blick noch ein­mal zu in­ten­si­vie­ren und es trifft sie da­bei ei­ne wei­ter Form von Käl­te: Je­ne, die sich in den Au­gen an­de­rer wi­der­spie­gelt. Mir wird bei ei­nem sol­chen Text ganz warm ums Herz.

Wénter­geféihl

Óf meim Bóckel lein
nét wenich Wéntern
kennen méch aus mét
Froscht Eis Schnee
Matsch Schmuddelwedder
én all déi Johren eppes
geles geheert gelehrt gewóscht
un noch vill meh vergess
wat sowieso aam Enn nét zehlt
un kann méch doch
émmer vaan nauem nét
geweenen wievill Kält
én so manch Auen waant

Ursula Kerber

Zum ers­ten Mal ver­öf­fent­licht in der Antho­lo­gie Mund­ART Win­ter, her­aus­ge­ge­ben vom Kel­kel-Ver­lag, Dil­lin­gen