//
die Bosener Gruppe
Text des Monats
Monat 01/2019:
Winter von Heinrich Kraus
Helle Gedanken an dunklen Tagen
Das Gedicht Winter des im Oktober 2015 verstorbenen Autors Heinrich Kraus ist Mundarttext des Monats im Januar 2019. Darauf hat sich das Kolloquium der Bosener Gruppe auf einer Tagung geeinigt. Der Text wurde ausgesucht, so Karin Klee, Sprecherin der Gruppe und Autorin, weil er in seiner Aussage und seiner poetischen Strahlkraft ein Stück zeitüberdauernder Schreibkunst darstellt.
In ihrem „Bosener Manifest“ hat sich die Arbeitsgemeinschaft für rhein- und moselfränkische Mundart zum Ziel gesetzt, die Mundarten der Region in ihrer herausragenden Wertigkeit und Schönheit zu würdigen. Als eine der selbstverständlichen Konsequenzen hieraus soll die Dialektsprache als Möglichkeit einer anspruchsvollen literarischen Gestaltungsform präsentiert werden. Preiswürdige Texte werden jeweils auf Vorschlag der Mitglieder der Bosener Gruppe ausgewählt und juriert. Einziges Entscheidungsmerkmal ist die literarische Qualität eines Textes. Zur Bosener Gruppe gehören:
Über den ausgewählten Text schreibt die aus Kaiserslautern stammende Autorin Helga Schneider:
Das Gedicht „Winter“ von Heinrich Kraus ist zum ersten Mal in dem Buch „Off huwwelische Pädcher“ veröffentlicht worden. Es begegnete mir wieder an einer Regalwand der Pfalzbibliothek Kaiserslautern. Dort fand von 21. Oktober 2017 bis 24. Februar 2018 eine umfassende Heinrich-Kraus-Ausstellung statt.
Dieses Wintergedicht da auf dem dunklen Holz! Ein Text wie ein Edelstein. Ich las das Gedicht wieder und wieder und dachte an Heinrich Kraus, glaubte seine Stimme noch einmal zu hören, seine wundervoll kleine Handschrift zu sehen.
Das Gedicht, ein sorgsam komponierter Kraus-Text, macht in den ersten beiden Strophen den Winter sichtbar und hörbar, zeichnet in der großen mittleren Strophe ein herrliches Bild des gerade beginnenden neuen Jahres, malt dann einen im Winterschlaf träumenden Igel, fragt nach den Gedanken eines Fisches unterm Eis, hört dem dürren Schilfhalm zu, den die Weide ohne Blätterohren vielleicht doch verstehen kann. Am Schluss lässt Heinrich Kraus uns behutsam den Frühling erahnen. Und mit seinem „Do guck“ bezieht er gezielt den Leser ein in das wundersame Winterbild.
Winter
Wejß wie e Hand, wo nix drin isch, wejß wie e Teller, wo leer isch, wejß wie Babier, wo wejter nix droff steht, wie do, im Ecke, ’s Gekritzel von Hecke, drowwe, wie Blacke, vier hungrische Spatze. Lejs bischt de, dusma, so kalt. Un peu à peu fallt de Himmel erunner, deckt zu, was mir hejle, un a, was mir lache: es Grab un es Gras, de Wäh un de Wejer … Unschullisch steht’s do, ’s neij Johr, die Finger wie Zabbe aus Ejs, es Hemmed wie Raureijf un Newwel, die Aue wie Sterne am ganz hohe Himmel. Die Glocke laute im daabstumme Land. Die Hiwwele warte off annere Zeijte. De Wald – herrjeh – saht bloß: ach! Was träämt de Ischel, wo strack is un pennt? Was denkt de silwrische Fusch unnerm Ejs? De därre Schilfhalm, der pischbert im Wind. Vesteht ne die Wäd ohne Ohre aus Blätter? De rote Felse, der protzt un protzt, bis ne de friehe Owed noht schwarz macht. De Winter, die Ruh un de Anfang: Do guck, an de Zwacke die Knoschbe! De Same, der keimt unnerm Schnee. De neje Trieb, der brecht aus ’m Borrm. Im helle Dah proweere die Finke se peijfe.
Heinrich Kraus