Text des Monats

Gérard Carau
Gérard Carau

Monat 12/2018:
Der Zeitfänker von Gérard Carau

Zeit für den Textfänger

Das Ge­dicht Der Zeitfänker des saar­län­di­schen Au­tors Gérard Carau ist Mund­art­text des Mo­nats im De­zem­ber 2018. Dar­auf hat sich das Kol­lo­qui­um der Bo­se­ner Grup­pe auf ei­ner Ta­gung ge­ei­nigt. Der Text wur­de aus­ge­wählt, so Ka­rin Klee, Spre­che­rin der Grup­pe und Au­to­rin, weil in die­sem fast me­ta­phy­sisch zu nen­nen­den Ge­dicht gleich meh­re­re Ebe­nen der Be­trach­tung, der Emp­fin­dung und der Re­fle­xi­on auf poe­ti­sche Wei­se ver­eint sind.

In ih­rem „Bo­se­ner Ma­ni­fest“ hat sich die Ar­beits­ge­mein­schaft für rhein- und mo­sel­frän­ki­sche Mund­art zum Ziel ge­setzt, die Mund­ar­ten der Re­gi­on in ih­rer her­aus­ra­gen­den Wer­tig­keit und Schön­heit zu wür­di­gen. Als ei­ne der selbst­ver­ständ­li­chen Kon­se­quen­zen hieraus soll die Dia­lekt­spra­che als Mög­lich­keit ei­ner an­spruchs­vol­len li­te­ra­ri­schen Ge­stal­tungs­form prä­sen­tiert wer­den. Preis­wür­di­ge Tex­te wer­den je­weils auf Vor­schlag der Mit­glie­der der Bo­se­ner Grup­pe aus­ge­wählt und ju­riert. Ein­zi­ges Ent­schei­dungs­merk­mal ist die li­te­ra­ri­sche Qua­li­tät ei­nes Tex­tes. Zur Bo­se­ner Grup­pe gehören:

Über den aus­ge­wähl­ten Text schreibt der saar­län­di­sche Au­tor und Spre­cher der Bo­se­ner Grup­pe Pe­ter Eckert:

Während man noch grü­belt, wie man sich das vor­zu­stel­len hat, wenn je­mand Zei­ten fängt (oder es ver­sucht), bringt der Un­ter­ti­tel ein neu­es Rät­sel: ei­ne Ele­gie, sehn­suchts­vol­le, schwer­mü­ti­ge Kla­ge, in die­sem Fall aber tra­gi­ko­misch …? Wir ah­nen: Wi­der­sprü­che prä­gen die Per­son eben­so wie das Ob­jekt ih­rer „Lei­den­schaft“.

Jä­ger und Samm­ler wie un­se­re Vor­fah­ren in grau­er Vor­zeit, zu­gleich ein – wenn auch schon recht al­tes – Kind un­se­rer Ta­ge, aber in eben die­ser Zeit nicht da­heim. Sein leib­li­ches Über­le­ben ist ge­si­chert, um­so schwe­rer drü­cken emo­tio­na­le Man­gel­er­schei­nun­gen.

Dem durch Ja­gen, Ein­fan­gen, Sam­meln zu be­geg­nen, hat sich der Zei­ten­fän­ger vor­ge­nom­men. Tö­ne, Bil­der, Wör­ter sucht und fin­det er auf der Straße, so vie­le, dass nur ei­ne rie­sen­große Erin­ne­rungs­do­se die­se ech­ten oder ver­meint­li­chen Kost­bar­kei­ten fasst. Ver­gan­ge­ne Zei­ten fängt er, sei­ne, un­se­re. Aber ganz gleich, wie er sein Sam­mel­su­ri­um schüt­telt, von ganz nah hin­ein­schaut und horcht, das Ge­we­se­ne lacht al­len­falls ver­schämt: Vor­bei ist vor­bei. Tra­gi­ko­misch? Ko­misch wohl eher für Beo­b­ach­ter, die die­se Er­fah­rung (noch?) nicht ge­macht ha­ben. Tra­gisch für den Zei­te­fän­ker, dem schein­bar Ge­won­ne­nes zwi­schen den Fin­gern zer­rinnt.

Wenn auch nur dann, wenn er die­ses „Vor­bei“ ak­zep­tiert – und das scheint vor­erst frag­lich.

Der Zeitfänker

(tra­gi­ko­mi­sche Ele­gie auf einen lei­den­schaft­li­chen Samm­ler)

Er réfft de Teen 
er mòlt de Biller 
er kehrt de Wéarter 
von der Stròòß

stóppt alles 
en sei grooß 
sei riesegrooß 
Errénnerungsdoos

Er fänkt de Zeiten en
sein Zeit
user Zeit
die anner Zeit von dunnemòls

Manchmò
wenn et em weh ess óm't Herz 
wenn er sich némmeh auskennt én der nau Welt
dann riselt er an der Doos 
dann geht er ganz dicht draan mem Ohr
mém Au
dann horcht er ónn lout

ob se'm eppes saan 
de Wéarter de Tén 
wo er gefang hat 
ob se'm eppes weisen 
de Biller vo fréijer 
eppes, wat em helft

Er kritt awwer nie en Antwort
héchstens mò
e Lachen heert er
von ganz deif énnen
ganz hääwes
spätterlich verschaamt
wie von hénner der Hand
eppes wie: 
kómm geh fort 
géff óff 
loss sénn 
et éss erémm 
fer émmer

Gérard Carau

aus: Straauobschd, Moselfränkisch Texter, 2015