Text des Monats

Hel­ga Schnei­der
Hel­ga Schnei­der

Monat 09/2018:
Naacht­besuch von Hel­ga Schnei­der

Den Nachtschatten entkommen

Der Text Naacht­besuch der in Kai­sers­lau­tern le­ben­den Au­to­rin Hel­ga Schnei­der ist Mund­art­text des Mo­nats im Sep­tem­ber 2018, dar­auf hat sich das Kol­lo­qui­um der Bo­se­ner Grup­pe bei ei­ner Sit­zung ge­ei­nigt. Der Text wur­de aus­ge­sucht, so Ka­rin Klee, Au­to­rin und Spre­che­rin der Grup­pe, weil er mit al­ler poe­ti­schen Kraft den Kampf ge­gen das Dun­kel der Nacht und das Dunkle in uns schil­dert. Und am En­de die Zu­ver­sicht ge­win­nen lässt.

Die Bo­se­ner Grup­pe ist ein Zu­sam­menschluss von Sprach-Künst­lern, die es sich zum Ziel ge­setzt ha­ben, die hohe li­te­ra­ri­sche Wer­tig­keit und Aus­drucks­kraft der re­gio­na­len Dia­lekt­spra­che ins all­ge­mei­ne Be­wusst­sein zu ru­fen. Zur Bo­se­ner Grup­pe gehören:

Zum aus­ge­wähl­ten Text schreibt die in Schif­fer­stadt le­ben­de Au­to­rin Ute Zim­mer­mann:

„E Gig­ge­ri­gi. Ve­treibt de­re Naacht ihr Ge­spensch­ter.“ So lässt die au­ßer­or­dent­lich er­folg­rei­che wie fein­füh­li­ge, sprach­ge­wand­te und mund­art­kräf­ti­ge Hel­ga Schnei­der die Pro­ta­go­nis­tin aus Alp­traum und schwe­rer Nacht in den Tag glei­ten. Ob das Hah­nen­ge­schrei in ih­rer Kai­ser­lau­te­rer Hei­mat­stadt viel­leicht am Stadt­rand noch zu ver­neh­men ist, spielt da­bei kei­ne Rol­le: Nicht zu­fäl­lig schreibt Hel­ga Schnei­der in der Ich-Form, denn für die prak­ti­zie­ren­de Chris­tin ist der Hahn gleich­sam das En­de der Nacht.

Ihr Glau­be wird sie auch an die­sem Tag be­glei­ten. Je­sus hat die Dun­kel­heit des To­des be­siegt – ei­ne Schwär­ze und Schwe­re, die Hel­ga Schnei­der mit ein­dring­lichs­ten und nach­voll­zieh­ba­ren Wor­ten be­schreibt. Ei­ne Dun­kel­heit, die schon fest nach ihr greift, sie um­fliegt, schon am Be­sie­gen scheint. Schließ­lich geht auch et­was An­zie­hen­des, Fas­zi­nie­ren­des von die­sen schwar­zen, „samt­dunk­len“ Kräf­ten aus. Zu na­he­zu rea­len Krä­hen ge­wor­de­ne bö­se Träu­me, Ge­dan­ken und Ängs­te schwir­ren um­her und der­wisch­gleich le­gen sich Tran­ce und Kräf­te­ver­fall über die Ich-Per­son. Im al­ler­letz­ten Mo­ment dann das „Gig­ge­ri­gi“. Er­lö­send – und äu­ßerst be­mer­kens­wert sprach­lich re­du­ziert. Es ver­treibt oh­ne je­de ad­jek­ti­vi­sche Aus­schmü­ckung die Ge­spens­ter der Nacht.

Nicht ein­mal ein Aus­ru­fe­zei­chen wird von Schnei­der ver­wen­det: wah­re Kräf­te spre­chen eben für sich. So mahnt al­lein die­ses me­ta­pher­haf­te Hah­nen­ge­schrei mit al­ler Kraft und Ein­dring­lich­keit zur Reue, dem Schwar­zen bei­na­he nach­ge­ge­ben zu ha­ben. Was bleibt, sind Hoff­nung und Mut und die Ge­wiss­heit, dem nächs­ten „Naacht­be­such“ ge­stärkt, zu­ver­sicht­lich und be­glei­tet be­geg­nen zu kön­nen.

Naacht­besuch

Samtdunkle Schattefliejl. Stumm steijt die Naacht dorchs Fenschter, schmeißt Raawe in die Stubb.
Sie flatschern wild rumher. ’s kreischt, ’s johlt, ’s droht, ’s doobt un ’s hackt, das wiitisch Raaweheer zieht Krääse um mei Kopp. Es kraahen als un als die Schnäwwel, sensescharf.
Angscht krallt sich in mei Hals. Kriejn die mich am Krawutsch? Schwarz, alles schwarz. Nää! Nää! Mei Hänn. Mei Hoor. Mei Stern. Die hann mich schun! Oh weh! Ich häng. Ich fliej.
E Giggerigi. Vetreibt dere Naacht ihr Gespenschter.

Hel­ga Schnei­der