Text des Monats

Irene Rickert
Irene Rickert

Monat 01/2018:
Zeit-Vadreib von Irene Rickert

Von Tick und Tack und Klick und Klack

Das Gedicht Zeit-Vadreib der saar­ländi­schen Au­to­rin Irene Rickert ist Mund­art­text des Mo­nats im ers­ten Mo­nat des Jah­res 2018, dar­auf hat sich das Kol­lo­qui­um der Bo­se­ner Grup­pe ver­stän­digt. Der Text wur­de aus­ge­sucht, so Ka­rin Klee, Au­to­rin und Spre­che­rin der Grup­pe, da er sich bild­reich raf­fi­niert und sprach­lich spie­le­risch des Phä­no­mens der Zeit im Le­ben der Men­schen an­nimmt.

Die Bo­se­ner Grup­pe ist ein Zu­sam­menschluss von Sprach-Künst­lern, die es sich zum Ziel ge­setzt ha­ben, die hohe li­te­ra­ri­sche Wer­tig­keit und Aus­drucks­kraft der re­gio­na­len Dia­lekt­spra­che ins all­ge­mei­ne Be­wusst­sein zu ru­fen. Zur Bo­se­ner Grup­pe gehören:

Zum aus­ge­wähl­ten Ge­dicht schreibt der Jour­na­list und Au­tor Man­fred Spoo:

Ire­ne Ri­ckert ist Rent­ne­rin und kann sich jetzt öfter dem Schrei­ben wid­men. „Da­bei kann ich so wun­der­bar träu­men – und die Zeit ver­ges­sen“, sagt die Saar­loui­ser Au­to­rin, die vie­le Jah­re als Rechts­an­walts­ge­hil­fin und Ver­wal­tungs­an­ge­stell­te ge­ar­bei­tet und schon wäh­rend ih­res ak­ti­ven Be­rufs­le­bens mit dem Schrei­ben be­gon­nen hat.

Da­mals war sie Mit­glied im Frei­en Deut­schen Au­to­ren­ver­band und vie­le ih­rer Ge­dich­te wur­den in Antho­lo­gi­en ver­öf­fent­licht. Bald schrieb sie Mär­chen und Gu­te­nacht­ge­schich­ten für Kin­der. Da­nach ent­stan­den meh­re­re skur­ri­le Kurz­kri­mis, die in ver­schie­de­nen Zeit­schrif­ten er­schie­nen sind. Nach der Ver­lei­hung ei­nes Mund­art­prei­ses des Saar­län­di­schen Rund­funks be­kam sie Lust dar­auf, Tex­te in Mund­art zu schrei­ben. 2013 er­schi­en ihr Ro­man „Land der Ver­zau­be­rung“ im Stutt­gar­ter swb-Ver­lag.

Schon in ih­rer Kind­heit üb­ten Uh­ren, üb­ten Zeit­mes­ser ei­ne be­son­de­re Fas­zi­na­ti­on auf Ire­ne Ri­ckert aus. „Ich er­in­ne­re mich gut an das gleich­mä­ßi­ge Ti­cken der vie­len Wand­uh­ren, die ne­ben­ein­an­der in dem klei­nen La­den hin­gen, wo sich mein gro­ßer Bru­der in der Leh­re zum Uhr­ma­cher be­fand.“ Hin und wie­der brach­ten ver­trau­ens­vol­le Nach­barn ih­re Arm­band­uh­ren zu den Ri­ckerts nach Hau­se, weil die Zeit­mes­ser mit dem Ti­cken auf­ge­hört hat­ten. Dann durf­te auch Ire­ne sich schon mal die Lu­pe un­ters Au­ge quet­schen, um das Zu­sam­men­spiel der un­ru­hi­gen Räd­chen zu be­ob­ach­ten. Lief die Uhr wie­der im rich­ti­gen Takt, wi­ckel­te ihr Bru­der sie in Zei­tungs­pa­pier, und Ire­ne durf­te sie dem Be­sit­zer zu­rück­brin­gen. Mit­un­ter schenk­te man ihr dafür fünf­zig Pfen­ni­ge oder so­gar ei­ne Ta­fel Scho­ko­la­de.

Ire­ne Ri­ckerts Bru­der lebt nicht mehr und sie fragt sich im­mer öf­ter: Was ist das: Zeit? Sie sagt: „Was wä­re, wenn es die Zeit nicht gä­be, wenn nicht nur al­le Uhren, son­dern die Zeit ein­fach mal still­ste­hen wür­de. Dies wün­sche ich mir manch­mal – ste­hen zu blei­ben – nichts tun und nur den Au­gen­blick ge­nie­ßen – und stau­nen.“

Die Uhren, die Zeit­mes­ser küm­mert es nicht: Sie lau­fen wei­ter und ti­cken und kli­cken und ta­cken und kla­cken.

Zeit-Vadreib

Ich wär
so gäär
uus Uhr
im Flur
mach tick
un klick
un tack
un klack
hätt heit
mól Zeit
für meich
un deich
un anna Leit

Uus Wecker is haut stehn gebliew,
hat äänfach uffgeheert
se ticken.

Dad würd ich aach mól gäär,
stehn bleiwen,
äänfach so.

Ticken dúún ich
sowieso nimme
so richtich

Irene Rickert

Aus „So schwädd­se mir im Land­kreis Saar­louis“, Antho­lo­gie, Kel­kel-Ver­lag 2016