Text des Monats

Gangolf Peitz
Gangolf Peitz

Monat 03/2017:
Früh­lings-Ver­wir­rung von Gangolf Peitz

Mahnend leise Frühlingsbilder

Als Mund­art­text des Mo­nats März 2017 wird das Ge­dicht Früh­lings-Ver­wir­rung des saar­län­di­schen Mund­art­au­tors Gangolf Peitz prä­miert. Da­rauf hat sich bei ih­rer letz­ten Ta­gung das Kol­lo­qui­um der Bo­se­ner Grup­pe ver­stän­digt.

Wie ei­ne Spre­che­rin der Grup­pe, die saar­län­di­sche Au­to­rin Ka­rin Klee, mit­teil­te, ha­be man die­sen Text von Peitz aus­ge­wählt, um dar­auf hin­zu­wei­sen, dass poe­ti­sche Aus­sa­gen und Be­trach­tun­gen in Re­gio­nal­spra­che einen ganz be­son­de­ren li­te­ra­ri­schen Reiz be­sit­zen. Gan­golf Peitz stammt aus Saar­brü­cken, wuchs in Tri­er auf und wohnt heu­te in der Ge­mein­de Bous. Er ar­bei­tet frei­be­ruf­lich über sein Bü­ro für Kul­tur- und So­zi­al­ar­beit Saar (www.gan­golf­peitz.de). Be­reits meh­re­re be­deu­ten­de Mund­art­prei­se er­ziel­te der Au­tor mit sei­nen Tex­ten in den ver­gan­ge­nen Jah­ren.

In ih­rem Bo­se­ner Ma­ni­fest hat sich die Ar­beits­ge­mein­schaft für rhein- und mo­sel­frän­ki­sche Mund­art, Bo­se­ner Grup­pe, zum Ziel ge­setzt, die Mund­ar­ten der Re­gi­on in ih­rer her­aus­ra­gen­den Wer­tig­keit und Schön­heit dar­zu­stel­len. Als ei­ne der selbst­ver­ständ­li­chen Kon­se­quen­zen hieraus soll die Re­gio­nal­spra­che als Mög­lich­keit ei­ner an­spruchs­vol­len li­te­ra­ri­schen Ge­stal­tungs­form prä­sen­tiert wer­den. Zur Bo­se­ner Grup­pe gehören u.a. die Mund­art­au­to­ren Jo­han­nes Kühn, Ka­rin Klee, Pe­ter Eckert, Ge­org Fox, Re­lin­de Nie­der­län­der, Ute Zim­mer­mann, René Egles, Gi­se­la Bell, Gérard Ca­rau, Jean-Louis Kief­fer, Man­fred Pohl­mann und Mar­cel Adam.

Ge­org Fox, Mit­glied der Bo­se­ner Grup­pe, schreibt zu dem Text von Gan­golf Peitz:

Der Text „Früh­lings-Ver­wir­rung“ ist ein gu­tes Bei­spiel für ei­ne ge­lun­ge­ne li­te­ra­ri­sche Ge­stal­tung in der Re­gio­nal­spra­che un­se­res Lan­des. Der Früh­ling als Zeit der Er­neue­rung und des Auf­bruchs kon­tras­tiert hier mit der De­menz-Er­kran­kung ei­ner al­ten Frau, die ih­re Welt schein­bar nicht mehr ver­steht. Peitz nutzt sein in­ten­si­ves be­ruf­li­ches Vor­wis­sen, um hier in sehr fein­fühlen­der Art den Ver­hal­tens­wei­sen ei­nes kran­ken Men­schen nach­zu­spüren. „Die alt Fraa wääß nix meeh vumm Frieh­ling“ lau­tet das Ur­teil der Um­welt. Da­bei spürt sie den­noch das Er­wa­chen der Na­tur und hat einen Sinn für die wär­men­de Son­ne. Peitz schafft es, in ei­ner hoche­mo­tio­nel­len Bild­spra­che die Er­leb­nis­welt der Kran­ken sicht­bar zu ma­chen und ih­re viel­fach un­ver­ständ­li­chen Ver­hal­tens­wei­sen den­noch mit Sinn­haf­tig­keit zu fül­len. Zu­gleich ist der Text auch ein Ap­pell des Au­tors für einen ver­ständ­nis­vol­le­ren Um­gang mit der De­menz-Krank­heit.

Hier schafft es die Mund­art, ei­ne tie­fe Be­trof­fen­heit für die Welt der de­menz­kran­ken Men­schen in ei­ner dich­ten li­te­ra­ri­schen Spra­che­be­ne her­zu­stel­len. Die Re­gio­nal­spra­che – das be­weist Gan­golf Peitz – er­zeugt da­mit ei­ne li­te­ra­risch-künst­le­ri­sche Ge­stal­tungs­kraft, die gleich­zei­tig ei­ne ge­wis­se Gleich­gül­tig­keit des Um­fel­des ent­larvt, wo das Ver­hal­ten der Frau nur mit ei­nem ach­sel­zu­cken­den „Saan­se!“ kom­men­tiert wird. Da­mit wird der Schrift­stel­ler zum Bot­schaf­ter für die ho­he Wer­tig­keit der Re­gio­nal­spra­che. Die Ly­rik von Gan­golf Peitz bil­det mit den Bil­dern, die er malt, ei­ne kor­re­spon­die­ren­de Ein­heit, ein be­son­de­res mu­si­sches Wech­sel­spiel. Der Au­tor meint da­zu: „Mei­ne Ge­dich­te sind lei­se und lau­te Bil­der, mei­ne Bil­der lau­te und lei­se Ge­dich­te. Sie wa­ren und sind mir Fla­schen­post, Frei­heit und Hei­mat.“

Früh­lings-Ver­wir­rung

Die alt Fraa wääß nix meeh
Vunn de Jahreszeide

Se wääß nimme vunn Daach unn Naat
Drinn unn Drauße, vunn Mai odder Januar

Doo steht im März die Diir weit uff
Se laaft dabber naus, halwer nackisch

Laaft iwwers Blumebeet querriwwer
Verliert e Schlabbe, steht pletzlisch im Rosebeet

Scheen waarm isses heit drauße schunn
Ball zwansisch Grad bringt die Sunn

Die alt Fraa is gebickt
Butzt unn wischt die Blume ab

Sammelt de Müll zwische de Rose
Macht die Naduur sauwer

Se woar rausgelaaf, beinägschdt vor e Audo
Wird dann ingefang zerick ins Heim

Awwer die Friehlingssunn
Hat häämlich uff se gewaart

Die alt Fraa wääß nix meeh vumm Friehling
Saanse

Gan­golf Peitz, geb. 1960 in Saar­brü­cken, auf­ge­wach­sen in Tri­er. Stu­dien­jah­re an den Uni­ver­sitäten Tri­er und in Mainz, wohnt in Bous/Saar. Ar­bei­tet frei­be­ruf­lich über sein Büro für Kul­tur- und So­zi­al­ar­beit Saar in Li­te­ra­tur, Kunst und Pub­li­zis­tik, so­wie in der am­bu­lan­ten So­zi­al­ar­beit. Saar­län­di­scher Mund­art­preis 2007 und 2009 in Ly­rik (1. Platz). Mit sie­ben Le­se­pro­gram­men (da­von mit „Un­ner­weeschs“ ein kom­plet­tes Mund­art­pro­gramm), Work­shops und Kunstaus­stel­lun­gen über­re­gio­nal un­ter­wegs. Le­sun­gen in Kul­tur- und So­zi­al­ein­rich­tun­gen. Out­si­der Art-Ken­ner, En­ga­ge­ment in al­ter­na­ti­ver Ge­sund­heits­ar­beit, Or­ga­ni­sa­tor von kul­tu­rel­len Ver­an­stal­tun­gen u.a. für Selbst­hil­fei­ni­tia­ti­ven. Di­ver­se Pub­li­ka­tio­nen im Selbst­ver­lag seit 1996 (u.a. „Ka­lei­do­skop“, „Uff Platt“, „Ein­wür­fe“, „Früh­ling à la Peitz“, „My Saar­land Poems“, „Or­gel­rast“, „Sha­lom – Salaam“, „Cha­os und Ord­nung“, „Wo liegt Nir­gend­wo?“). Au­tor im Kul­tur­te­le­fon Mainz, Stam­m­au­tor des „Pa­ra­ple“, Re­dak­teur und Ku­ra­tor beim eu­ropäi­schen Kunst­pro­jekt „Art-Trans­mit­ter“, un­re­gel­mäßig Beiträ­ge für Ta­ges- und Fach­pres­se. Wei­te­re In­for­ma­tio­nen un­ter www.gan­golf­peitz.de. Aus­ge­wähl­te Wer­ke der Ma­le­rei in der In­ter­net­ga­le­rie von www.art-trans­mit­ter.de.
Au­to­ren­kon­takt: gangolf.peitz@web.de