Text des Monats

Hein­rich Kraus
Hein­rich Kraus

Monat 06/2016:
Piep von Hein­rich Kraus

Ausgepiepte Aufgeblasenheit

Das Ge­dicht Piep des im Herbst 2015 ver­stor­be­nen Au­tors Hein­rich Kraus, der so­wohl Saar­län­der als auch Pfäl­zer ge­we­sen ist, ist Mund­art­text des Mo­nats im Juni 2016, dar­auf hat sich das Kol­lo­qui­um der Bo­se­ner Grup­pe auf sei­ner letz­ten Ta­gung ver­stän­digt.

Die­ser Text wur­de aus­ge­sucht, so Ka­rin Klee, Au­to­rin und Sp­re­che­rin der Grup­pe, weil er freund­lich hu­mo­rig einen der vie­len un­an­ge­neh­men Aspek­te der meist un­ge­heu­er un­schö­nen Wirk­lich­keit poe­tisch in Sze­ne setzt.

Die Bo­se­ner Grup­pe ist ein Zu­sam­menschluss von Sprach-Künst­lern, die es sich zum Ziel ge­setzt ha­ben, die hohe li­te­ra­ri­sche Wer­tig­keit und Aus­drucks­kraft der re­gio­na­len Dia­lekt­spra­che ins all­ge­mei­ne Be­wusst­sein zu ru­fen. Zur Bo­se­ner Grup­pe gehören:

Über den aus­ge­such­ten Text schreibt der saar­län­di­sche Au­tor Gérard Carau:

Hein­rich Kraus, der uns lei­der im Ok­to­ber 2015 für im­mer ver­las­sen hat, ver­füg­te über einen köst­li­chen Hu­mor und ver­stand es un­nach­ahm­lich, sei­ne Le­ser zum „mit ge­schei­tem Hin­ter­grund“ zum Schmun­zeln zu brin­gen.

In sei­nem Ge­dicht „Piep!“, das 2014 in sei­nem letz­ten Band „Eb­bes dun … un noht?“ im St. Ing­ber­ter Was­ser­mann Ver­lag er­schi­en, nimmt er sich – durch­aus im Stil ei­nes Wil­helm Busch – einen eit­len, selbst­ge­fäl­li­gen, nicht von un­ge­fähr wohl­be­leib­ten Pfar­rer aufs Korn, der auf die an­schei­nend in­so­len­te, weil die ze­le­brier­te An­däch­tig­keit voll­kom­men aus den Fu­gen brin­gen­de Prä­senz ei­nes harm­los-un­schul­di­gen Spat­zen­vo­gels (na­mens Schor­schel) im hei­li­gen Got­tes­haus höchst ge­reizt rea­giert und sei­ne Fas­sung ver­liert. Die Au­to­ri­tät des Pfar­rers geht mit den fröh­li­chen, aber nichts­de­sto­we­ni­ger re­bel­li­schen Piep-Tö­nen des „Un­tiers“ buch­stäb­lich flö­ten, die Ge­mein­de sam­melt sich ge­ra­de­zu ver­schwö­re­risch hin­ter dem „so­zi­al Schwäche­ren“ und der in sei­nem An­se­hen arg be­schä­dig­te Pfar­rer sinnt auf fins­te­re Rachei …

Krau­sens Ge­dicht ist bei­lei­be nicht ket­ze­risch, aber er­fri­schend an­ti­au­to­ritär. Der Auf­ge­bla­sen­heit wird sub­til die Luft „aus­ge­piept“ und die schwar­ze Kat­ze des di­cken Pfar­rers steht für sei­ne schwar­ze, ganz un­hei­li­ge See­le. „Le ri­di­cu­le tue“, heißt es in Frank­reich, das Lä­cher­li­che ist töd­lich. Der Pfar­rer heißt Han­sel.

Wir wer­den Hein­rich Kraus noch arg ver­mis­sen.

Piep

E dicker Parrer namens Hansel,
der steht un schwätzt off seiner Kanzel
vom liebe Gott, scheen fromm un brät,
wie wenn er dene kenne dät.

E junges Spätzje namens Schorschel
hat sich verärrt bis zu de Orschel
un saht sonscht nix wie „piep“.
Im Nu
horcht die Gemän dem Dierche zu.

De Geischtlich fuchtelt, predischt lauter.
Käns heert ne meh. Ma denkt bloß: Traut er?
Un do … tatsächlich … flieht der Spatz 
e Rund un sucht e annrer Platz.

Hochwirde krejscht die schlauschte Sache.
De Vochel piepst. Die Kinner lache,
un jeder freit sich, wenn er sieht, 
wie ’s Spätzje in de Kärch rumflieht. 

Ob Himmel, Höll, ob Ewischkäte …
Ma hat sei Gaudi, mahn nit bäte. 
„Piep piep!“ Die Botschaft macht all froh.
„Piep piep!“ Das isch es A un O. 

Froh geht ma häm. Im schwarze Kittel
der kennt gäh so viel Fräd e Mittel,
sperrt in die Kärch sei schwarzi Katz …
Die – halleluja – freßt de Spatz. 

Hein­rich Kraus