Text des Monats

Monat 12/2015:
Win­der­daa­che von Gerd He­ger

Grad zelääds gegen die Winter-Wehmut

Das Ge­dicht Win­der­daa­che des in Saar­brü­cken le­ben­den un­ter an­de­rem auch Au­tors Gerd He­ger ist Mund­art­text des Mo­nats im De­zem­ber 2015, dar­auf hat sich das Kol­lo­qui­um der Bo­se­ner Grup­pe auf sei­ner letz­ten Ta­gung ge­ei­nigt.

Die­ser Text wur­de aus­ge­wählt, so Ka­rin Klee, Au­to­rin und Spre­che­rin der Bo­se­ner Grup­pe, weil die dar­in be­schrie­be­nen dunklen Mo­men­te, die nicht nur ein je­der Win­ter in un­se­ren Brei­ten un­wei­ger­lich in sich trägt, in un­er­schro­cken poe­ti­scher Of­fen­heit, doch gänz­lich oh­ne auf­ge­setz­tes Pa­thos, als sol­che ent­tarnt und sie da­mit mög­li­cher­wei­se in ih­re Schran­ken weist.

In ih­rem Bo­se­ner Ma­ni­fest hat­te sich die Ar­beits­ge­mein­schaft für rhein- und mo­sel­frän­ki­sche Mund­art, die Bo­se­ner Grup­pe, zum Ziel ge­setzt, die Mund­ar­ten der Re­gi­on in ih­rer her­aus­ra­gen­den Wer­tig­keit und Schön­heit dar­zu­stel­len. Als ei­ne der selbst­ver­ständ­li­chen Kon­se­quen­zen hieraus soll die Re­gio­nal­spra­che als Mög­lich­keit ei­ner an­spruchs­vol­len li­te­ra­ri­schen Ge­stal­tungs­form prä­sen­tiert wer­den. Zur Bo­se­ner Grup­pe gehören u.a. die Mund­art­au­to­ren Jo­han­nes Kühn, Hein­rich Kraus, Ge­org Fox, Re­lin­de Nie­der­län­der, Pe­ter Eckert, Ute Zim­mer­mann, René Egles, Gi­se­la Bell, Man­fred Pohl­mann, Jean-Louis Kief­fer, Gé­rard Ca­rau, Ka­rin Klee und Hans-Wal­ter Lorang.

Zu dem aus­ge­such­ten Text schreibt Ka­rin Klee:

Als 'Mon­sieur Chan­son' kennt man Gerd He­ger weit über den Sen­de­um­fang des Saar­län­di­schen Rund­funks hin­aus. Der na­he Og­gers­heim ge­bo­re­ne sprach­be­gab­te Pfäl­zer ist Jour­na­list, Mo­de­ra­tor, Mu­si­ker, Dich­ter (kann durch­aus sein, dass da noch et­was fehlt) und kennt sich mit Zwi­schentö­nen bes­tens aus, eben­so mit dem, was zwi­schen den Zei­len zu fin­den ist. Nach­le­sen kann man das in dem Ly­rik­band „Sie­ben Ta­ge, sie­ben Töp­fe“, in be­reits drit­ter Auf­la­ge im Saar­brü­cker Geist­kirch Ver­lag er­schie­nen, und in sei­nen Beiträ­gen im 'Pa­ra­ple', der x-lin­gua­len Li­te­ra­tur­zeit­schrift des Sprach- und Lan­des­gren­zen hin­ter sich las­sen­den Verei­nes 'Gau un Gri­is'.

Dort üb­ri­gens ha­be ich den Text „Win­der­daa­che“, der als ei­ne Art Win­ter-Blues be­reits ver­tont wor­den ist, ent­de­cken dür­fen. Ei­ne je­de Zei­le dar­in rührt an, ist im sel­ben Mo­ment aber auch ein scho­nungs­los of­fe­nes Be­kennt­nis zu et­was, was man ge­ra­de an­ge­sichts der No­vem­ber-At­ten­ta­te in Pa­ris sich eben nicht laut aus­zu­spre­chen traut: zu­zu­ge­ben, dass man Angst hat.

Da­bei ist es egal, wie ei­ne Angst da­her­kommt. Wenn sie erst ein­mal in ei­ner Men­schen­see­le Fuß ge­fasst hat, er­greift sie Schritt für Schritt vom Ge­samt­ge­schöpf Be­sitz, geht dort in Kör­per und Geist spa­zie­ren. Und am En­de ge­lingt es manch­mal nur noch den Fach­leu­ten aus Me­di­zin, Psy­cho­lo­gie und Phi­lo­so­phie die Angst in ih­re Schran­ken zu wei­sen; oder man hat eben einen gut funk­tio­nie­ren­den Ei­gen-Sinn, einen hoch­in­tel­li­gen­ten Dick­kopf, der mit ei­nem kraft­vol­len „Trotz­dem“ den Weg aus der Dun­kel­heit ins Hel­le­re ver­sucht.

Win­der­daa­che

’S gebt so dunkle Winderdaache
Sogar wonn scheint die Sonn.
Die sinn so recht kaum zu ertraache,
Merr mähnt, merr platzt vor lauder Fraache.
Die Angschd hot’s Blut geronn.
 
Merr lewen weider, weil merr misse,
De beese longe Daach.
Merr fiehlen schlimmer als beschisse,
Faschd wär der Lewensstrick gerisse.
Kä Stick mehr uff der Waach.
 
Die Angschd greift zu midd dicke Zange
Unn zwickt unn zwickt unn zwickt.
Die Angschd iss do, um zuzulange,
Der Lewensmut iss uns vergange.
Werrd merr so schnell verrickt?
 
Doch ganz do drinn, ganz inne dief,
Do steckt noch e Stick Lewe.
Und dess halt durch in all demm Mief,
Der Kält, dem Dunkel unn dem Trief.
Und saacht laut „Trotzdem“ ewe!

Gerd He­ger