Text des Monats

Gé­rard Ca­rau
Gé­rard Ca­rau

Monat 08/2015:
Grobb­schnitt odder Fein­schnitt? von Gé­rard Ca­rau

Durch die Kindheit traktiert

Als Mund­art­text des Mo­nats Au­gust 2015 wird das Ge­dicht Grobb­schnitt odder Fein­schnitt? des saarländischen Mundartautors Gé­rard Ca­rau prä­miert. Da­rauf hat sich das Kol­lo­qi­um der Bo­se­ner Grup­pe auf sei­ner letz­ten Ta­gung ver­stän­digt.

Wie die Spre­che­rin der Grup­pe, die saar­län­di­sche Schrift­stel­le­rin Ka­rin Klee, mit­teil­te, ha­be man die­sen Text von Ca­rau aus­ge­wählt, um den be­son­de­ren Wert der Mund­art­spra­che in der knapp poin­tier­ten Aus­sa­ge ei­nes li­te­ra­ri­schen Tex­tes zu ver­deut­li­chen. Gérard Ca­rau ist ein Au­tor, der ei­ne mo­der­ne Va­ri­an­te der Mund­art­dich­tung ver­tritt. Zu­letzt ver­öf­fent­lich­te er das Buch „Sch­draau­obschd – Mo­sel­frän­kisch Tex­ter“ in der Edi­ti­on Gau und Gri­is Bou­zon­ville. Ca­rau ist auch Che­fre­dak­teur der dort er­schei­nen­den li­te­ra­ri­schen Zeit­schrift PA­RA­PLE.

Die Bo­se­ner Grup­pe ist ein Zu­sam­menschluss von Sprach-Künst­lern, die es sich zum Ziel ge­setzt ha­ben, die hohe li­te­ra­ri­sche Wer­tig­keit und Aus­drucks­kraft der re­gio­na­len Dia­lekt­spra­che ins all­ge­mei­ne Be­wusst­sein zu ru­fen. Zur Bo­se­ner Grup­pe gehören:

Ge­org Fox, Schrift­stel­ler und Mit­glied der Bo­se­ner Grup­pe, zu dem Text von Gé­rard Ca­rau:

Die Erin­ne­rung an die Schul­zeit ist fest ver­an­kert im Ge­dächt­nis al­ler Kin­der. Nicht im­mer war das Schul­le­ben leicht zu er­tra­gen. Es war oft ge­kenn­zeich­net von Angst; denn es gab ne­ben ver­ständ­nis­vol­len Lehr­kräf­ten auch sol­che, die mit dem Stock re­gier­ten. Gérard Ca­rau hat dies in sei­ner Schul­zeit der 50er Jah­re er­lebt. Da­bei ist be­kannt, dass seit den An­fän­gen der Volks­schu­le im 19. Jahr­hun­dert aus­ge­dien­te Sol­da­ten in den Lehr­be­ruf ver­setzt wur­den, die dann das stren­ge Re­gi­ment auf die Kin­der über­tra­gen woll­ten. Im Schul­mu­se­um Ott­wei­ler kann man dies noch sehr ge­nau nach­ver­fol­gen.

Ca­rau hat die­se frühe­ren Er­zie­hungs­me­tho­den, die oft auch im El­tern­haus vor­herrsch­ten und bis weit in die 50er Jah­re des letz­ten Jahr­hun­derts üb­lich wa­ren, in sei­nem Text dar­ge­stellt. Da­bei erzählt der Au­tor auch von den sub­ti­len Straf­me­tho­den des Er­zie­hers, der die Kin­der den Straf­stock sel­ber aus­su­chen und bei­brin­gen ließ. Das Straf­maß reich­te von den Ohr­fei­gen, Knei­fen in die Wan­gen, Zie­hen an den Ohr­läpp­chen bis zu den här­te­ren Stra­fen wie Schlä­ge mit dem Stock auf die Fin­ger (oft bei Mäd­chen) und auf das Gesäß (bei Jun­gen). Der Au­tor setzt die Schul­stra­fen in einen Be­zug zur krie­ge­ri­schen Ge­waltausü­bung, recht­fer­tigt aber die­se Er­zie­hungs­me­tho­de nicht. Auch heu­te hört man bis­wei­len noch ent­schul­di­gend, die Prü­gel­stra­fe da­mals ha­be nicht ge­scha­det. Im päd­ago­gi­schen Be­reich ist man je­doch längst zu ei­ner an­de­ren Über­zeu­gung ge­kom­men. Angst ist ein schlech­ter Lehr­meis­ter, das gilt auch für die Angst vor Stra­fe. Ca­rau be­ginnt und schließt sei­nen Text mit der viel­leicht be­dau­ern­den Fest­stel­lung „Wenn aich nom­mòh so klään wär…“. Der Le­ser soll deu­ten, was dann wä­re.

Der Ti­tel be­zieht sich auf die Art der Ru­te, die ver­wen­det wur­de, er­in­nert aber auch an ei­ne Be­zeich­nung aus der Ta­bak­her­stel­lung: Fein­schnitt­ta­bak be­zeich­net fein ge­schnit­te­nen, manch­mal ge­soß­ten (mit flüs­si­gem Aro­ma ge­tränk­ten) Ta­bak. Auf­grund sei­nes Schnit­tes brennt er re­la­tiv schnell ab und wird da­her für Zi­ga­ret­ten ver­wen­det.

Grobb­schnitt odder Fein­schnitt?

(En zornijer Erénnerong an bestémmt „Pädagogen“, wo us én de 50er Joaren – nadierlich óngestròòft – durch user Kéndhäät „mangeijt“ hann.)

Wenn aich nommò so klään wär,
so wie aich fréijer woar …
 
Am Ohr hodder us
aus der Bank geróppt
én de Laiskaul geschlaa
óff de Féngern gekloppt
 
Der Kréich woar lang erémm
Awwer nét de Gewalt
awwer nét de Gewalt
 
De Stecken fer us Ärsch
hammer selwer geschnied
méttes nò der Schol ómm Berch
Hasel hodder am leiwschden
 
Der Kréich woar lang erémm
Awwer nét de Gewalt
awwer nét de Gewalt
 
„Grobbschnitt odder Feinschnitt?“
De Dénnen hann gepéff
de Dicken besser gegréff
Er hott sich de Hänn gerief
 
Der Kréich woar lang erémm
Awwer nét de Gewalt
awwer nét de Gewalt
 
Et woarenner én der Klass
die hotten jeden Dach
en Zeidong én der Box
Genotzt hat et en nix
 
Der Kréich woar lang erémm
Awwer nét de Gewalt
awwer nét de Gewalt
 
Wenn aich nommò so klaän wär,
so wie aich fréijer woar …

Gé­rard Ca­rau