Text des Monats

Ute Zim­mer­mann
Ute Zim­mer­mann

Monat 02/2015:
Ä kor­zi Gschischt uh­ne Iw­wer­schrift von Ute Zim­mer­mann

Wort für Wort pure Medizin

Der Prosa-Text Ä kor­zi Gschischt uh­ne Iw­wer­schrift der pfäl­zisch-rhein­frän­ki­schen Au­to­rin Ute Zim­mer­mann ist Mund­art­tex­te des Mo­nats im Feb­ru­ar 2015. Da­rauf hat sich das Kol­lo­qi­um der Bo­se­ner Grup­pe be­reits auf sei­ner letz­ten Ta­gung ver­stän­digt.

Die­ser Text wur­de aus­ge­sucht, so Ka­rin Klee, Au­to­rin und Spre­che­rin der Grup­pe, weil es dar­in dem mensch­li­chen Ge­fühl von un­be­stimm­ter Trau­rig­keit – auch be­kannt als dem „Blues“ – auf er­staun­lich prak­ti­sche und zu­gleich sprach­lich ge­konn­te Art und Wei­se an den Kra­gen geht.

Die Bo­se­ner Grup­pe ist ein Zu­sam­menschluss von Sprach-Künst­lern, die es sich zum Ziel ge­setzt ha­ben, die hohe li­te­ra­ri­sche Wer­tig­keit und Aus­drucks­kraft der re­gio­na­len Dia­lekt­spra­che ins all­ge­mei­ne Be­wusst­sein zu ru­fen. Zur Bo­se­ner Grup­pe gehören:

Über den aus­ge­wähl­ten Text schreibt der saar­län­di­sche Au­tor und Spre­cher der Bo­se­ner Grup­pe Pe­ter Eckert:

Wenn ei­ne Ge­schich­te in der un­ü­ber­seh­ba­ren Über­schrift be­haup­tet, sie ha­be kei­ne Über­schrift, darf man ge­spannt sein, was dar­in sonst noch ge­gen den Strich ge­bürs­tet wird. Ein un­will­kom­me­ner später Gast, der sich un­ge­be­ten in die auf­geräum­te Fei­er­abend-Gemüt­lich­keit klamm­heim­lich ein­schleicht, springt trotz net­ter Ra­dio­mu­sik und Rot­wein sein Op­fer an und kriecht über Kopf und Bauch, Mark und Bein di­rekt ins Herz. Das sai­sona­le Stim­mungs­tief, Win­ter-Blues ge­nannt, macht sich breit, ver­sucht al­les, den Abend in Trä­nen ver­sin­ken zu las­sen. Ein sol­ches See­len­bad in Me­lan­cho­lie ver­dient es, schrift­lich fest­ge­hal­ten zu wer­den. Und aus­ge­rech­net die­ses Auf­schrei­ben macht dem Blues den Garaus. So­gar oh­ne wei­te­re Ri­si­ken und Ne­ben­wir­kun­gen.

Ute Zim­mer­mann lebt in Schif­fer­stadt. Ge­bo­ren ist sie in Lud­wigs­ha­fen, wo sie auch seit 1991 als Leh­re­rin an ei­ner Grund­schu­le tätig ist. Sie ver­an­stal­tet selbst Vor­le­se­stun­den für Schul­kin­der und gibt ih­re Er­fah­run­gen in fachli­te­ra­ri­schen Veröf­fent­li­chun­gen wei­ter. In Bo­cken­heim gehört sie der Ju­ry des Mund­art­dich­ter­wett­streits an und lei­tet die von ihr kon­zi­pier­te Mund­art­werk­statt. Kur­ze und kür­zes­te Tex­te (Ge­dich­te und Pro­sa in Mund­art und Hoch­deutsch), pfif­fig, hin­ter­grün­dig und hin­ter­sin­nig, ma­chen einen Groß­teil des Werks von Ute Zim­mer­mann aus. Meh­re­re ih­re Beiträ­ge wur­den bei Mund­art­wett­be­wer­ben der rhein­frän­ki­schen Re­gi­on aus­ge­zeich­net. Trotz der Lust am Qu­er­den­ken und der hoch ent­wi­ckel­ten Kunst, die Er­geb­nis­se über­ra­schend, doch spätes­tens nach ei­ner Schreck­se­kun­de ein­leuch­tend in Wor­te zu fas­sen, schwebt sie aber nie in Ge­fahr, Bo­den­kon­takt und ge­sun­den Men­schen­ver­stand ein­zu­büßen.

Ä kor­zi Gschischt uh­ne Iw­wer­schrift

Bletz­lisch war er do. Am­me nor­ma­le Din­sch­daach, Owends, so um ver­tel zeh­ne rum. Äfach so. Drauße war’s schunn lang dunkl, ä paar Zei­le sim­mer im Kopp rum­gan­ge. Im Ra­dio spielt leis ganz gu­u­die Mu­sik – ei­schend­lisch al­les grad so, wie mer’s haw­we will.

Doch do war er:
Hott misch agsprunge,
hott misch fescht kalle,
hott misch nimmie los losse wolle.
Ging mer dursch un dursch,
ging mer dursch Kopp un Bauch,
dursch Mark un Bä,
un doch, ’s Herz noch uberiehrt. Mol gugge, wie lang.
Do war er also: de Blues. Un isch hab ge­denkt, dess Johr net. Dess Johr kummt de Frieh­ling un isch schalt vum Herbscht glei um uff Sun­ne­schoi. Vum Dra­che­stei­sche uff Erd­beer­rob­be, vum neie Woi uff Rha­wa­werku­che.

Un jet­zert iss er do, de Blues. Dass es den­ne a uff päl­zisch gew­we du­ut, haww isch gar net ge­wisst. Uff je­den Fall will er nix es­se. Des is schun ämol gut. Die Stim­mun­ge, wu mer was es­se muss, kann isch net gut ge­brau­che.
Aw­wer Rot­woi will er trin­ke. Al­la hopp, trin­ke mer noch ä Glä­sel. Un jetzt? A der is jo im­mer noch do.
Was isch ma­che deet, will er wis­se. Un warum isch al­les uff­schrei­we deet? So schnell, un er kennts gar net le­se. Isch soll de Stift weg­lee­sche un misch ganz uf­fen ve­los­se. Er deets schun risch­te. Nur mit dem dab­bi­sche Schrei­we soll isch uff­hee­re. Un zwar se­fort.
Trin­ke soll isch un trau­risch wer­re un weh­mie­disch un schwer ums Herz soll mers wer­re.
Aw­wer isch muss schrei­we. Un isch hab viel Idee-e.

De Blues liggt mer in de Oh­re: Denk ämol an frie­her! Denk ämol wie schä des war, wu noch all do warn. Gell, die feh­len der? Gell, ’s war ä schä­nie Zeit?
Ach du lie­wer Him­mel, denk isch. Der redd jo viel­leischt’n Kees. Aw­wer trotz­demm, mir werds ganz schwin­de­lisch. Un na­dier­lisch feh­len se mer. All mi­nan­ner. Wu er Rescht hott hott er Rescht.

De Blues sei­selt mer wei­ter ins Ohr, er lallt un schmächelt, er zieht un zobbt an moi­ne­re Seel.
Ir­schend­wie drickt er schunn ä bis­sel im Hals, s Schlu­cke fallt schun schwer. Ewe will er mei Hand fescht­hal­le. Isch soll jet­zert end­lisch ’s Schrei­we uff­gew­we! De Stift weg­lee­sche, sunscht de­et er misch net pa­cke. Sunscht de­et er misch heit nim­mie zum Hei­le brin­ge, sunscht – ganz ug­hal­te du­ut er klin­ge, aw­wer a fascht ä bis­sel ve­zwei­felt.
Do werd soi Stimm a schun din­ner. Noch ä led­sch­des Seif­ze, dann war Ruh – un al­les war wid­der gut:

Isch hab mer denn Blues an demm Din­sch­daach Owend äfach vun de Seel gschriw­we.

Ute Zim­mer­mann