Text des Monats

Hel­ga Schnei­der
Hel­ga Schnei­der

Monat 01/2015:
Win­ter­weg von Hel­ga Schnei­der

Das Gewicht der Schneegedanken

Das Gedicht Win­ter­weg der pfäl­zisch-rhein­fränki­schen Au­to­rin Hel­ga Schnei­der ist der ers­te der Mund­art­tex­te des Mo­nats im Jahr 2015. Da­rauf hat sich das Kol­lo­qi­um der Bo­se­ner Grup­pe be­reits auf sei­ner letz­ten Ta­gung im Herbst 2014 ver­stän­digt.

Die­ses Ge­dicht wur­de aus­ge­wählt, so Ka­rin Klee, Au­to­rin und Spre­che­rin der Bo­se­ner Grup­pe, da Hel­ga Schnei­der hier sprach­ge­wandt und sprach­ge­wal­tig win­ter­li­ches Na­tur­er­le­ben, Ge­dan­ken und Erin­ne­run­gen hoch­künst­le­risch an­ein­an­der zu we­ben und zu bün­deln ver­steht.

Die Bo­se­ner Grup­pe ist ein Zu­sam­menschluss von Sprach-Künst­lern, die es sich zum Ziel ge­setzt ha­ben, die hohe li­te­ra­ri­sche Wer­tig­keit und Aus­drucks­kraft der re­gio­na­len Dia­lekt­spra­che ins all­ge­mei­ne Be­wusst­sein zu ru­fen. Zur Bo­se­ner Grup­pe gehören:

Über den aus­ge­wähl­ten Text schreibt der saar­län­di­sche Au­tor und Spre­cher der Bo­se­ner Grup­pe Pe­ter Eckert:

Dass Win­ter vie­le Ge­sich­ter ha­ben kann, ist mehr oder min­der ei­ne all­täg­li­che Er­fah­rung: Ob man ihn als schön er­lebt, be­droh­lich oder grau­sam, ent­schei­det die ganz per­sön­li­che Le­bens­si­tua­ti­on. Die ge­sam­te Band­brei­te die­ser Emp­fin­dun­gen berührt der Weg, den das Ge­dicht nimmt, zwi­schen Win­ter­freu­den und Win­ter­schre­cken: Un­ter stahl­blau­em Him­mel durch Eis­na­deln, die der Ost­wind ins Ge­sicht peitscht, vor­bei an in den Schnee ge­drück­ten Spu­ren des Le­bens ne­ben den all­täg­li­chen Spu­ren un­se­rer Zi­vi­li­sa­ti­on, be­vor der Blick sich dem Schnee­weiß der Win­ter­land­schaft zu­wen­det. Gleich Sche­ren­schnit­ten zeigt hier das Schwarz der Ra­ben auf Bäu­men den Win­ter als Jah­res­zeit schärfs­ter, oft über­gangs­los auf­tre­ten­der Kon­tras­te. Noch kras­ser sind die Er­fah­run­gen, die sich da­mit ver­bin­den, Erin­ne­run­gen, die sich fast zwangs­läu­fig ein­stel­len: Ir­gend­wo weit draußen im Krieg der Va­ter, der hin­ter Sta­chel­draht ne­ben den Spu­ren von Pan­zer­ket­ten sein Le­ben in der Ei­ses­käl­te un­ter dem Ster­nen­him­mel ver­liert. Und da­heim bei der Mut­ter in der war­men Küche spie­lend das klei­ne Kind, das aus der Pu­der­do­se Ster­ne auf den Fuß­bo­den streut, da­mals. Heu­te führt der Weg der er­wach­se­nen Frau zurück ins war­me Haus, vor­bei am Kin­der­spiel­platz. Glück­li­ches En­de die­ses Win­ter­we­ges oder trü­ge­ri­sche Idyl­le?

Dass Hel­ga Schnei­der längst zu den ganz Großen der pfäl­zisch-rhein­frän­ki­schen Li­te­ra­tur gehört, soll­te sich in­zwi­schen her­um­ge­spro­chen ha­ben. Trotz­dem be­ein­druckt es im­mer wie­der neu, wel­che Kunst­wer­ke sie aus ih­rer pfäl­zi­schen Spra­che formt: nicht be­stimmt für ent­rück­te Sphären, son­dern berühren­de Poe­sie, in der sich das Le­ben ganz nor­ma­ler Men­schen spie­gelt.

Win­ter­weg

Im glitzerische Schnee am Wegrand
Hundegetappsel, Vochelfiißgekritzel.
Dezwische wie Ausrufezeiche
derre Grashalme.
Uffem Weg Rääfespure:
e Auto, e Kinnerscheesje.
In de Mitt e langi Bort Fußtabbe.
Schritt fer Schritt drick ich
mei Sohleprofil dezu,

sieh unner de silwerisch blasse Sunn
hiwwe im Eisbärebelz die Waldberje,
driwwe geje die nordpälzer Dickkepp zu
vorm stahlblooe Himmel
e Reih Quetschebääm.
Uff ihre Äscht
Raawe,
stumm un schwarz,
wie mit de Scher ausgeschnitt.

Wiitisch beitscht de Wind iwwers freie Feld.
Treibt e Schwarm winzische Eisneedelcher doher;
scharf wie Schlehdernerspitze
stechen se mir ins Gesicht.
In mei Anorak hutschel ich mich, will hääm.
Wie Eisdrachegeschnaufs faucht mir jetzt
die Oschtluft entgeje,
beißt sich dorch mei Klääder,
dass es mich schuckert un schittelt.

An denne Winter denk ich, wo du
newer de Spure vun Panzerkette un Laschtwaarääfe
hinner me Stacheldroohtzaun
unnerm eiskalte Sternehimmel
dort in dem fremde Land
vefror bischt,
indes ich mit de Puderbichs
bei de Mamme in de waarme Kich
Sterncher uff de Boddem gemacht hann.

Weiter geh ich,
sieh do unne vorm Wald
zwische de weiße Dächer
unser Haus.
De Schornschte raacht.
Noch e paar Schritt
die Stroß entlang.
Am Kinnerspielplatz vorbei.
Dann bin ich dehääm.

Hel­ga Schnei­der