Text des Monats

Jo­han­nes Kühn
Jo­han­nes Kühn

Monat 06/2013:
Zweij Seuf­ze­re von Jo­han­nes Kühn

Zwei Seufzer haben im Juni das Sagen

Als Mund­art­text des Mo­nats Juni hat das Kol­lo­qui­um der Bo­se­ner Grup­pe das Ge­dicht Zweij Seuf­ze­re des Ly­ri­kers Jo­han­nes Kühn aus­ge­wählt. Der Text ist ein ein­deu­ti­ger Be­weis für die Stär­ken des in Has­born le­ben­den Dich­ters, so Ka­rin Klee, Schrift­stel­le­rin und Spre­che­rin der Bo­se­ner Grup­pe, als da sind: ein gu­tes Stück scho­nungs­lo­ser Of­fen­heit, dazu eine Pri­se Selbstiro­nie und jede Men­ge sprach­li­chen Tal­ents.

Die Bo­se­ner Grup­pe ist ein Zu­sam­menschluss von Sprach-Künst­lern, die es sich zum Ziel ge­setzt ha­ben, die hohe li­te­ra­ri­sche Wer­tig­keit und Aus­drucks­kraft der re­gio­na­len Dia­lekt­spra­che ins all­ge­mei­ne Be­wusst­sein zu ru­fen. Zur Bo­se­ner Grup­pe gehören:

Zu dem Text schreibt die aus Dil­lin­gen Pach­ten stam­men­de Au­to­rin Hil­de­gard Driesch:

Der Text des Mo­nats Juni 2013 stammt von Jo­han­nes Kühn. Jo­han­nes Kühn ist nicht zu Un­recht ei­ner der großen zeit­genös­si­schen deut­schen Ly­ri­ker. Trotz­dem ist er tief in sei­ner Mut­ter­spra­che, dem mo­sel­frän­ki­schen Has­bor­ner Dia­lekt, ver­wur­zelt. Und glück­li­cher Wei­se schreibt er – auch - im­mer noch in sei­ner Mund­art. Sei­ne Wer­ke be­schäf­ti­gen sich oft mit Din­gen und Er­eig­nis­sen aus dem über­schau­ba­ren, dörf­li­chen All­tags­le­ben. Jo­han­nes Kühn be­schö­nigt nichts, er be­schreibt die ge­le­gent­lich raue Wirk­lich­keit (z.B. „Dä Sch­dään­bre­scher“, „E wir­risch Weibs­minsch“) aber auch die Schön­heit der Na­tur (z. B. „Roo­se“, „E Wol­ke­scheff“). Er geht stets mit of­fen Au­gen und Ohren durch die Ta­ge, durch die Jah­re, durch die Zeit und ver­wan­delt alle Ein­drü­cke in Spra­che, eben auch in sei­ner, un­se­rer Mut­ter­spra­che, die in ih­rem gan­zen Fa­cet­ten­reich­tum im­mer we­ni­ger ge­spro­chen und im­mer we­ni­ger ver­stan­den wird. Fast möch­te man Jo­han­nes Kühns Mund­art­tex­te als ei­nen trot­zi­gen Ab­ge­sang auf un­se­re Spra­che ver­ste­hen, ein „und jetzt ge­ra­de ex­tra“ des Schrift­stel­lers (und, nicht zu ver­ges­sen, sei­ner Le­ser), der statt des mah­nen­den Zei­ge­fin­gers, sei­ne Hei­mat­spra­che wür­digt – in­dem er sie auf­schreibt und sie so über­lie­fert.

Nicht ohne ein Schmun­zeln ist der Text des Mo­nats zu le­sen. Der Schrei­ber trau­ert sei­nen ver­gan­ge­nen Jah­ren nach, stellt fest, dass er „ald o schroh“ ge­wor­den ist. Wunsch und Wirk­lich­keit klaf­fen, das be­schreibt er wei­ter im Text, weit aus­ein­an­der. Man kann sich den Schrift­stel­ler bei ei­nem Spa­zier­gang an ei­nem Som­mer­tag vor­stel­len. Sei­ne Au­gen blei­ben haf­ten an ei­nem jun­gen Mäd­chen, das ihm ent­ge­gen­kommt. Sei­ne Freu­de an die­sem An­blick währt lei­der nur kurz. Schmerz­haft wird ihm be­wusst, dass das Äl­ter­wer­den sei­nen Tri­but for­dert. Zwei Seuf­zer stößt er aus und sie al­lein drü­cken das gan­ze Di­lem­ma aus. Le­sen wir also nach­denk­lich und mit ei­nem Au­gen­zwin­kern Jo­han­nes Kühns Text des Mo­nats, ent­nom­men dem PARAPLE Nr. 23/2012.

Zweij Seuf­ze­re

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Ett petzt misch iwwerall
ganz raulisch,
eijsch senn halt so e Fall,
eijsch senn maulisch.
Eijsch seijn e Märe do,
genn schroh.
Mej ald Gesischt, ett moss et schrecke.
Eijsch schdehe kurz vorm Frecke,
wär isch noch jong, kinnt isch et necke.
Ett ess nett so.
 
Ett petzt misch iwwwerall
ganz dirmlisch,
ett ess meij Fall,
ett maht meijsch irmlisch.
Ett Märe ess noch jong,
eijsch hätt gesong,
wor isch nur e bessjen jinger.
Eijsch hätt noch Worte for so Denger.
Nä, eijsch se kä jonger Schbrenger,
se ald o schroh.

Jo­han­nes Kühn