Text des Monats

Ro­nald Eu­ler
Ro­nald Eu­ler

Monat 03/2013:
O min lànd von Ro­nald Eu­ler

Rede an das eigene „liebe“ Land

Als Mund­art­text des Mo­nats März hat das Kol­lo­qui­um der Bo­se­ner Grup­pe ein Ge­dicht des aus dem „krum­men El­sass“ stam­men­den Au­tors Ro­nald Eu­ler ausgewählt. Der Text trägt den Ti­tel O min lànd Die­ses Ge­dicht wur­de aus­ge­sucht, so Ka­rin Klee, Schrift­stel­le­rin und Spre­che­rin der Bo­se­ner Grup­pe, weil dar­in Dia­lekt­spra­che, Po­e­sie und po­li­ti­scher Stand­punkt eine Ver­bin­dung mit­ein­an­der ein­ge­hen, die dazu führt, dass die Kraft der Aus­sa­ge sich um ein Viel­fa­ches ver­stärkt.

Die Bo­se­ner Grup­pe ist ein Zu­sam­menschluss von Sprach-Künst­lern, die es sich zum Ziel ge­setzt ha­ben, die hohe li­te­ra­ri­sche Wer­tig­keit und Aus­drucks­kraft der re­gio­na­len Dia­lekt­spra­che ins all­ge­mei­ne Be­wusst­sein zu ru­fen. Zur Bo­se­ner Grup­pe gehören:

Über den aus­ge­such­ten Text schreibt der loth­rin­gi­sche Schrift­stel­ler Jean-Louis Kief­fer:

Ro­nald Eu­ler ist ein Elsäs­ser, der in der Spra­che des „Al­sace Bos­sue“, des „Krum­men El­sass“, schreibt, und die ist loth­rin­gisch, es ist das Rhein­frän­ki­sche von Bu­chenumm (bei Sar­re-Union). Ro­nald Eu­ler ist ein ech­ter Poet. Al­ler­dings kei­ner von der sanf­ten Sor­te, der le­dig­lich mit den Wör­tern und ih­ren Klang­mög­lich­kei­ten spielt, um die Le­ser zu in­ter­es­sie­ren und zu un­ter­hal­ten. Sei­ne Mut­ter­spra­che ist tief in ihm ver­wur­zelt: Sie (nicht das Franzö­si­sche und nicht das Hoch­deut­sche) ist sei­ne ur­sprüng­li­che Spra­che, die Spra­che, in der und mit der man spon­tan sei­ne Ge­fühle äußert, in der und mit der man sei­nen Är­ger, sei­ne Wut ar­ti­ku­liert.

Im Ge­dicht „O min Land“ geht es nicht, wie man vom Ti­tel her viel­leicht ver­mu­ten könn­te, um eine Lie­bes­er­klärung, ge­rich­tet an sein idyl­li­sches, ro­man­ti­sches Krum­me El­sass. Nein, der ent­täusch­te und tief be­trof­fe­ne Poet wirft sei­ner Hei­mat ihr höchst be­fremd­li­ches Ver­hal­ten vor … Hört das Land denn nicht das ner­ven­auf­rei­ben­de, den Oh­ren weh tu­en­de schril­le Ge­krei­sche der lei­ern­den Schall­plat­te? Sieht es nicht die häss­li­che, Angst ein­flößen­de Gri­mas­se? Hat sei­ne Hei­mat schon die brau­nen Jah­re ver­ges­sen? Oh mei­ne Hei­mat, bist du krank?

Das Ge­dicht wur­de ge­schrie­ben in Re­ak­ti­on auf den ers­ten Durch­gang der franzö­si­schen Prä­si­dent­schafts­wah­len 2012: Im Krum­men El­sass und im deutsch­spra­chi­gen Loth­rin­gen war die ex­tre­me Rech­te auf­mar­schiert … Es ist die vor­nehms­te Auf­ga­be des Poe­ten (und da­mit eben auch von Ro­nald Eu­ler), den Fin­ger auf die Stel­le zu le­gen, wo es weh tut. Er, der Poet, ver­fügt über die pas­sen­den Wor­te und Bil­der, weiß sich aus­zu­drü­cken. Ro­nald Eu­ler ver­steht es bes­tens, in sei­ner ur­ei­ge­nen Spra­che, dem Frän­ki­schen, sei­nem Land, das er da­bei er­tappt, sich zu „ver­lie­ren“, or­dent­lich die Mei­nung zu sa­gen. „O min lànd“, hör‘ dei­nen Poe­ten und be­her­zi­ge das, was er dir zu sa­gen hat!

O min lànd

(Übersetzung aus dem Französischen: Gérard Carau)

Vur wemm hàsch de àngscht
Dàss de dich mit schànd beflecksch
Bisch doch nitt dààb
Dàss de de hàss nitt heersch uff dëre verkràtzt schàllplàtt
Bisch doch nitt blind
Dàss de de schàtte nitt gesisch in denne fàlsche fràtze

O min liewes lànd
Bisch doch nitt krànk
So loss de Dàtsche* von dem àlte kràm eweg
Stéck ne jo nitt in de hànd e blànkoscheck

Hàsch doch kën àlzheimer?

Ro­nald Eu­ler
(écrit le 23.4.12, lendemain du premier tour des élections présidentielles 2012)

* Dàtsche: Hände, Finger; mains