Text des Monats

Hel­ga Schnei­der
Hel­ga Schnei­der

Monat 10/2012:
Hääm­weg von Hel­ga Schnei­der

Erinnerungen an ein lang-kurzes Leben

Der Herbst ist gekommen, die Welt wieder grau, und so hat das Kolloquium der Bosener Gruppe für den Oktober einen eher nachdenklich me­lan­cho­li­schen Text der Kaiserslauterner Schrift­stel­le­rin Helga Schneider als Mundarttext des Monats ausgesucht. Das Ge­dicht „Häämweg“ ist, wie Karin Klee, Sprecherin der Gruppe, weiter mit­teilt, der beste Beweis dafür, wie einfühlsam und gleichzeitig kraftvoll Dialektliteratur mit der Vergänglichkeit allen Lebens umzugehen ver­mag.

Die Bosener Gruppe ist ein Zusammenschluss von Sprach-Künst­lern, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die hohe literarische Wertigkeit und Aus­drucks­kraft der regionalen Dialektsprache ins all­ge­mei­ne Be­wusst­sein zu rufen. Zur Bosener Gruppe gehören:

Zu dem ausgewählten Text schreibt der Sprecher der Bosener Gruppe, der saarländische Autor Peter Eckert folgendes:

Erinnerung heißt, zugleich Verlorenes und Bewahrtes im Bewusstsein miteinander zu verknüpfen und gegeneinander abzuwägen. Besonders schwierig gestalten sich Phasen im Leben, in denen unaufhaltsam stabile Bausteine einer Existenz wegbrechen, das also, was das Leben lange Zeit trug. Neben dem Schönen nicht zu vergessen auch die unvermeidlichen Mühen und Lasten, denen bewusste Erinnerung einen eigenen Sinn zugesteht.

All das findet sich in Helga Schneiders Gedicht „Häämweg“ aus ihrem 1993 erschienen Gedichtbändchen „Glaswelte“. Den sich ab­zeich­nen­den Verlust eines geliebten Menschen spiegelt die konkrete Situation des Heimwegs aus dem Garten. Unterwegs ist die noch voll im Leben stehende Hälfte des Paares, die sich, „das Leben geht weiter“, um den früher gemeinsam gepflegten Garten kümmert und mit einer kleinen Ern­te zur Wohnung zurückkehrt. Weit weg im Krankenhausbett liegt die andere Hälfte, von der wir ahnen, dass ihr bevorsteht, was früher in Todesanzeigen als „Heimgang“ umschrieben wurde. Schattige Gär­ten hinter Mauern, Efeu, Brennnesseln, muffiger Geruch: Der Gedanke an den Friedhof überlagert die Wahrnehmung. Noch steigt von war­men Steinen die Erinnerung auf an frohe Tage, trippelnde Kinder, fröh­li­ches Springen, aber auch wütendes Stampfen: gelebte Gemeinschaft.

Das lange, kurze Leben ist großenteils verrauscht, das Wasser im Brunnentrog wird weiter laufen. Der Pfad wird heller – ein Hoff­nungs­schim­mer für den gemeinsamen Weg?

Helga Schneider hat nimmt längst einen besonderen Platz in der pfäl­zisch-rhein­frän­ki­schen Literatur ein. Immer wieder gelingt es ihr, mit ih­rer kraftvollen und doch auch zärtlichen pfälzischen Sprache aus ganz normalem Menschenleben beeindruckende Poesie zu schaffen.

Hääm­weg

Ich kumm ausem Garde 
an de Bach dort im Dal, 
laaf iwwer die Brick. 
Driwwe s Pädche werd schmal. 
Im Korb Kraut un Blumme, 
e bißje Salat,
’s letscht Händche voll Erbse, 
e roti Tomat.

Oft sinn mer do gang 
mit dem Kerbche zu zwätt. 
Jetzt heil ich un denk 
an des Krankehausbett. 
Un Bilder steijn uff 
vun de glutwarme Stää(n), 
leis pischbert die Weed. 
Bin ich werklich allää(n)?

Die Gärde ummauert.
E Rail zwischedrin.
’s riescht muffisch, ’s werd schattisch;
ich freer innedrinn.
Brennessle un Efei
an Maure, an dunkele.
Stää(n)brocke im Railpad.
Als heer ich se munkele.

Sie wissen vun Worte, 
vun Hubbser un Schritt, 
vun Kinnergedribbels 
un wutharte Tritt, 
vum Eile in Dage 
voll Truwel, voll Frääd. 
Lang laaft schun das Wasser 
im Trog an de Weed.

Mei(n) Korb werd mer schwer. 
Doch im Rail do werd s heller. 
Was hääßt das: Noch hoffe? 
Vielleicht. Ich geh schneller. 
De A(n)fang. De Fortgang, 
’s sinn soviel Johr Lewe. 
Verauscht un vegang. 
War’s jetzt domols? War’s ewe?

Hel­ga Schnei­der