Text des Monats

Hein­rich Kraus
Hein­rich Kraus

Monat 09/2012:
Räs von Hein­rich Kraus

Oh Mensch, wohin des Wegs?

Ein weiteres Heiner-Kraus-Gedicht ist Mund­art­text des Monats im September

Als „Mundarttext des Monats“ wurde für den Sep­tem­ber dieses Jahres das Gedicht Räs des in Bruchmühlbach-Mie­sau lebenden und in St. Ingbert geborenen Autors Hein­rich Kraus aus­ge­wählt. Da­rauf hat sich das Kol­lo­qui­um der Bosener Gruppe ver­stän­digt. Wie die Sprecherin der Gruppe, die in Wadern lebende Autorin Ka­rin Klee weiter mitteilt, erschien dieser Text im Paraple 22, 2011, S. 61. Kraus, der in diesem Sommer seinen 80. Geburtstag feierte, stellt damit un­ter Beweis, dass er noch immer weit weg von jeder Art von Schreib­mü­dig­keit ist. Die Gruppe hat diesen Text ausgesucht, weil sich da­rin Sprach- und Wortwitz mit philosophischen Betrachtungen über die mensch­li­che Existenz wunderbar humorvoll vereinen.

Die Bosener Gruppe ist ein Zusammenschluss von Sprach-Künst­lern/in­nen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die hohe literarische Wertigkeit und Ausdruckskraft der regionalen Dialektsprache ins allgemeine Be­wusst­sein zu rufen. Zur Bosener Gruppe gehören:

Der in Beckingen lebende saarländische Schriftsteller Gérard Carau schreibt zu dem ausgewählten Text:

Wenn man wie die Schnecke (inklusive Gehäuse) im Dreck leben muss, liegt der Wunsch nahe, in die weite Welt, gar nach Berlin ziehen zu wol­len, von anderen neidvoll beobachtet. Aber wie weit kommt so ein Viech? Schon die nächste Kuh macht mit einem Huftritt aus ihr Ra­gout …

Daraus ergibt sich zwangsläufig die Frage, ob „man“, angesichts der Ge­fah­ren, die unterwegs, ja schon um die nächste Ecke, auf einen lau­ern, überhaupt reisen sollte. Die Frage weitet sich aus ins Ex­is­ten­zi­ell-Philosophische: Wohin strebt der Mensch? Est-ce que l’on sait où l’on va?

Auf diese Weise „hinterfotzig“-humorvoll den Lebenssinn hinterfragen kann nur Heinrich Kraus. Und er beweist mal wieder, in seiner me­lo­di­schen Mundart, wie gut er sein Handwerk beherrscht: In den ersten fünf Strophen dominiert jeweils ein Vokal; in der verkürzten sechsten, die dem Menschen gewidmet ist, kommen alle fünf gemeinsam zum Klin­gen, schwingen sich auf zu einem Memento-Mori-Barock-Akkord. Bra­vo, Meister!

Räs

E Schneck
im Dreck
mahn weg.
O leck!
Samt ihrm Gepäck?

E Bien
im Grien
dut’s siehn.
Wohin?
Ei, noh Berlin!

Off Babb
geht’s ab.
De Trabb
macht schlapp
un nit se knabb!

E Boh
gezog …
Ei jo!
Doch do
loßt’s läder noh.

E Kuh
macht muh,
tappt zu:
Ragout
un ewisch Ruh …

O Mensch, Filou,
wohin mahnscht du?

Hein­rich Kraus