Text des Monats

An­ne­lie­se Thür­wäch­ter
An­ne­lie­se Thür­wäch­ter

Monat 03/2012:
Zir­gus­lä­we von An­ne­lie­se Thür­wäch­ter

Das Leben ist ein Zirgusläwe

Gedicht der südpfälzischen Dichterin Anneliese Thürwächter ist Mund­art­text des Monats im März

Als Mundarttext des Monats im März 2012 wurde das Gedicht Zir­gus­lä­we der in Billigheim-Ingenheim beheimateten Dichterin An­ne­lie­se Thür­wäch­ter ausgewählt. Darauf hat sich das Kolloquium der Bosener Gruppe auf seiner letzten Tagung ver­stän­digt. Die Gruppe entschied sich für diesen Text, so Karin Klee, Schriftstellerin aus Wadern und eine Sprecherin der Gruppe, weil er ein gelungenes Beispiel dafür ist, wie Dichtung eine unaufgeregt bescheidene, aber gleichwohl sehr intensiv treffende Bestandsaufnahme des realen Lebens zeichnen kann.

In ihrem Bosener Manifest hat sich die Bosener Gruppe – Ar­beits­ge­mein­schaft für rhein- und moselfränkische Mundart – zum Ziel gesetzt, die Mundarten der Region in ihrer herausragenden Wertigkeit und Schön­heit darzustellen. Zusätzlich soll die Dialektsprache als Möglichkeit ei­ner anspruchsvollen literarischen Gestaltungsform präsentiert wer­den. Preiswürdige Texte werden auf Vorschlag der Mitglieder der Bo­se­ner Gruppe ausgewählt und juriert. Einziges Entscheidungsmerkmal ist die literarische Qualität eines Textes. Zur Bosener Gruppe gehören

Über den ausgewählten Text schreibt die aus Schifferstadt stam­men­de Autorin Ute Zimmermann:

Am 16. Oktober 1999 gewinnt Anneliese Thürwächter mit ihrem frei und eindrucksvoll vorgetragenen Gedicht „Zirgusläwe“ den damaligen Mundartwettstreit in Bockenheim. Weit über ein Jahrzehnt später darf man sagen, dass der Text von zeitloser Gültigkeit ist. Thürwächter gelingt mit ihrem 10strophigen Gedicht im Reimschema a b b a (um­schlie­ßen­de oder umarmende Reime) ein geschlossenes und über­zeu­gen­des Bild des Lebens an sich. Dabei ist die Metapher „Zirkus“ wahr­lich nichts Neues. Aber Thürwächter umschifft diese Klippe geschickt und nahezu dreist: Bereits im ersten Vers nimmt sie jeder großspurigen Deutung die Luft und macht diese Interpretation gleich selbst zum Auf­ma­cher: „Im grouße Zirgus, Menscheläwe ghäße“. Also steckt mehr drin, als ein munteres Zirkusbild und tatsächlich wird Thürwächter diesem Anspruch gerecht. Dabei kommen ihr eigene Lebenserfahrung – Anneliese Thürwächter ist 1935 geboren –, eine Ausbildung zur Leh­re­rin, starkes persönliches Interesse an Geschichte und Literatur so­wie langjährige Erfahrung als Jurorin beim Mundartwettstreit Dann­stadter Höhe zu Gute. Sie füllt alle zehn Strophen inhaltlich an­spruchs­voll und sicher in Reim und Rhythmus. In ihrer südpfälzischen Mundart beschreibt sie, dass die Rolle des dummen Augusts nicht ihr Lebensziel ist; sie möchte mehr, aber wie das Leben verläuft, lässt sich nicht immer selbstbestimmen. Nun macht sie das Beste daraus und amüsiert sich hinter ihrer Maske über die anderen mindestens so, wie diese über sie. Thürwächter hinterfragt Hierarchien (vorletzte Strophe) und gibt schmerzlich errungener Lebensklugheit (v.a. Strophen 2-4) und Zu­frie­den­heit weise den Vorzug gegenüber allzu offensichtlicher Karriere und Macht. Wer das große Glück hat Anneliese Thürwächter per­sön­lich zu kennen, ahnt die entwaffnende Dimension dieser hier ver­dich­te­ten Bescheidenheit. Wer sie näher kennenlernen möchte, kann sich in ihr sehr erfolgreiches Buch „Dichtung un Wohret“ (im Eigenverlag; Bil­lig­heim-Ingen­heim) einlesen.

Zir­gus­lä­we

Im grouße Zirgus, Menscheläwe ghäße,
häb selli Roll un jelli ich prowiert,
die mänschte hämmer anre ufdikdiert,
ich hett mer gern als bess’re rausgeläse.

Am liebschte wer ich Herr Direkter wore
un hett in Frack un Hut als dirichiert,
stattdesse hän mich anre kummediert,
fer sou e Hauptroll war ich nit gebore.

Als Feierfresser wollt ich’s s’erscht prowiere
un häb mer oft un oft mei Maul vebrennt.
Mer braucht halt es besonneres Talent
beim Feierspauche selwer nix se spiere.

Balanceakde simmer nit geglickt,
häb veel sou schnell mei Gleichgewicht velore,
im Rambelicht do bän ich dirmlich wore,
häb’s Lambefiewer nie ganz unnerdrickt.

Ach Lewebännicher war nix fer mich,
die grouße Diere nämmen mich nit ernscht.
Es koscht e logge Lehrgeld, bis du lernscht 
un akzepdierscht, was’s beschte esch fer dich.

Die Roll vum dumme Auguscht war noch frei,
freiwillich hot die känner iwwernumme.
Wer macht schun gern fer anner Leit de Dumme!
Prowier’s halt, denk ich, ’s sell velleicht sou sei.

Jetz hot mer’s Rambelicht erscht richdich gstrahlt,
un endlich mach ich doch mei ächne Bosse
im scheckich Bruschduuch, mit karierde Hosse.
Am lautschde hot fer mich de Beifall gschallt.

De ganze Zirgus hot ä Mordsplesier,
ich amesier die Leit un sie mich aach,
sou darf ich Lache schengge Daach fer Daach,
kän Herr Direkter kann des un kä groußes Dier.

Un machen grouße Diere mer se schaffe,
do peif ich druf, anstatt daß ich mich kränk,
stell ich mich uf mei Hinnerfieß und denk:
„Ehr sin jo blouß e Herd dressierte Affe!“

In sou re Roll werd mer sefreere alt,
un mit re Maske loßt sich ’s recht gut läwe,
do kann ich u’scheniert mei Beschtes gäwwe
bis d’ Lichter ausgäin un de Vorhang fallt.

An­ne­lie­se Thür­wäch­ter