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die Bosener Gruppe
Text des Monats
Monat 01/2012:
De Koob von Jean-Louis Kieffer
„De Koob“ – Die Krähe spricht
Im Januar 2012 erhält das Gedicht De Koob aus der Feder des im lothringischen Filstroff lebenden Autors Jean-Louis Kieffer das Prädikat „Mundarttext des Monats“. Darauf hat sich das Kolloquium der Bosener Gruppe verständigt. Wie eine Sprecherin der Gruppe, die saarländische Schriftstellerin Karin Klee, mitteilte, habe man dieses Gedicht ausgewählt, weil es deutlich macht, wie weit sich Mensch und Natur voneinander entfernt haben.
Die Bosener Gruppe ist ein Zusammenschluss von Sprach-Künstlern/innen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die hohe literarische Wertigkeit und Ausdruckskraft der regionalen Dialektsprache ins allgemeine Bewusstsein zu rufen. Zur Bosener Gruppe gehören
Der Heimatdichter Manfred Moßmann schreibt zu dem Text des Monats:
„Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein –
Wohl dem, der jetzt noch Heimat hat.“
Der Text erinnert an das berühmte Gedicht von Nietzsche und kann als
dessen Fortsetzung gelesen werden. An einem weißen Morgen schreit die
Saatkrähe auf einem Baum. Die Stadt scheint erreicht. Wehe dem, der
jetzt schon Heimat hat …
Mein alter Brockhaus sagt: „Da sie mit ihrem schlanken Schnabel die
Ackererde nach Insekten und Würmern durchsucht und nur selten
Vogelnester beraubt, zählt die Saatkrähe zu den nützlichen Vögeln.“
Durchaus nützlich ist auch der „Koob“ im Gedicht des Jean-Louis Kieffer.
Er will nämlich etwas „saan“: Er hat eine Nachricht, eine Nachricht, die
er gleich zweimal von sich gibt. Doch die „Leit én ihr Haiser“ verstehen
die Nachricht beim besten Willen nicht. Und: Was sagt er denn
eigentlich, außer: „Kraah“ und „Krääh“?
Bei den Kelten, unseren Vorfahren, war die Krähe ein heiliger Vogel, und
bei manchen alten Kulturvölkern ist er ein Bote, ein Überbringer des
Magischen. Ein Teil der Sioux, die in den USA zwischen dem Yellowstone
River und dem Big Horn River leben, führt den englischen Namen der Krähe
(Crow) als Stammesbezeichnung. Bei ihnen ist die magische Verbindung von
Tier und Mensch essentieller Bestandteil der Religion.
Bei uns in Europa sind Saatkrähen, aufgrund ihres „Bréllerns“ und ihrer
weißlichen Kotausscheidungen, wenig beliebte Tiere, zu denen uns in der
Regel ein Zugang fehlt.
Durch den simplen Schwarz/Weiß – dunkel/hell – Kontrast verstärkt
Jean-Louis Kieffer die Darstellung der Entfremdung zwischen Mensch und
Natur. Die Kreatur tritt an den Menschen heran und „spricht“ zu ihm,
aber eine gemeinsame Sprache haben beide schon lange nicht mehr. Wir
haben die Sprache der Natur verlernt und verstehen, vermeintlich, nur
noch die der Banken und Rating-Agenturen. Somit ist die Natur für
moderne Menschen zu einem mit Bildern beklebten Vorhang, einem Katalog
schöner Aussichten und „Events“ geworden. Den Vorhang zu lüften, die
Chiffren des „Koob“ zu enträtseln, das ist die Aufgabe, die der Lyriker
Kieffer uns stellt.
Und da meinen wir allen Ernstes, dass unsere Sprache uns Einsichten in
das Wesen der Natur ermöglicht: Wir arme „Kooben én der Naat“ …
De Koob
De Koob bréllert schwaarz om Baam ém weissen Mojen. Un de Leit én ihr Haiser de Auen noch én der Naat horschen awwer hieren nét wat de Koob wéll saan wat de Koob wéll saan ém fréschen weissen Mojen schwaarz aus der Naat.
Jean-Louis Kieffer
Aus: „MundART Winter“ – Anthologie (Hrsg. Manfred Spoo)
Kelkel Verlag,
ISBN 978-3942 767040
Veröffentlichung mit
freundlicher Genehmigung des Verlags