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die Bosener Gruppe
Text des Monats
Monat 07/2009:
Ze hoch, vill ze hoch von Gérard Carau
Wo neischt ganz schee vill ès
Gedicht von Gérard Carau ist Mundarttext des Monats Juli
Das Prädikat „Mundarttext des Monats“ erhält im Monat Juli das Gedicht Ze hoch, vill ze hoch des saarländischen Autors Gérard Carau. Darauf hat sich das Kolloquium der Bosener Gruppe bei seiner letzten Tagung geeinigt. Caraus lothringer Autorenkollege Jean-Louis Kieffer schreibt zu dem ausgewählten Text:
Gérard Carau aus Beckingen, einer der „Barden“ des Moselfränkischen
(Chefredakteur der dreisprachigen Literaturzeitschrift „Paraple“,
zweiter Vorsitzender des Vereins „Gau un Griis“ mit Sitz in Bouzonville)
legt uns für den Monat Juli ein Gedicht voller Charme und Mysterium vor.
„Ze hoch, vill ze hoch“ ist als Hommage an den Dichter Reiner Kunze
ausgewiesen; es handelt sich, besser gesagt, um eine Adaption ins
Moselfränkische von „Gedicht“ von Kunze, in welchem der Dissident und
Ex-DDR-Poet die Schwierigkeit des Schreibens thematisiert: alles in
wenigen Versen auszudrücken und dennoch das Geheimnis, das Intime zu
verstecken und also zu verschweigen.
Gérard Carau greift das von Kunze vorgegebene Thema auf. Aus den sieben
Zeilen in einer Strophe bei Kunze werden fünfzehn kürzere, auf vier
Strophen verteilt. Der zentrale Gedanke bleibt dabei erhalten: Ich
möchte mit möglichst wenigen Worten alles sagen, was es zwischen dir und
mir gibt, ich möchte alles sagen über uns und doch nichts verraten,
unser Geheimnis wahren. Es ist natürlich unmöglich, dieses Ziel zu
erreichen; von daher erklärt sich der Titel, den Carau seinem Gedicht
gibt: „Ze hoch, vill ze hoch“.
So wie der Bildhauer und der Maler das Material bearbeiten (den Stein,
das Holz, die Leinwand, die Farben), so wie der Musiker die Töne
bearbeitet, so bearbeitet der Dichter die Wörter. Er schnitzt sie, gibt
ihnen Farbe und Rhythmus. Der Künstler ist Schöpfer von Emotionen. Er
muss sich demnach „offenbaren“, sich „entblößen“, aber dennoch auf der
Hut sein, sich zurückhalten, denn das Wesentliche, das tiefere Geheimnis
kann nicht ausgesprochen werden oder, besser, kann nicht erreicht
werden; aber es muss durchscheinen durch das Werk, als filigrane
Struktur hinter dem Gedicht erkennbar werden. Alles muss ausgesprochen
werden, aber alles bleibt Geheimnis! Paradox des Kunstwerks.
Kunze und Carau thematisieren beide die Unmöglichkeit, das perfekte
Kunstwerk zu erreichen, die Schwierigkeit des Kreierens; Themen und
Probleme, mit denen sich jeder ernsthafte Künstler ständig auseinander
zu setzen hat.
Das Gedicht von Gérard Carau hat, wegen der Einfachheit des Vokabulars,
wegen des Verzichts auf jegliche grammatische Komplikation, wegen der
Wiederholungen und vor allem wegen des Rhythmus, der die Wörter wie in
einem Gemurmel dahinfließen lässt, etwas, was das Gedicht von Reiner
Kunze nicht hat. Und ohne Ikonoklast sein zu wollen: „Ze hoch, vill ze
hoch“ übertrifft Kunzes „Gedicht“. Ist es nicht so, dass der Dialekt,
hier das Moselfränkische, einen zusätzlichen, wesentlichen Hauch
„Heimeligkeit“ einbringt, der den „Charme und das Mysterium“ des
Kunzeschen Textes nur noch erhöht?
Ze hoch, vill ze hoch
(Hommage an Reiner Kunze)
Ich gäw gär e Gedicht schreiwen e ganz kurzet nur drei véier Zeilen meh net Et wär ganz änfach e paar Wéarter nur paar Biller Et gäw alles dréstehn alles iwwer deich alles iwwer meich alles iwwer uus Et gäw awwer neischt verròòden neischt vo mir neischt von dir neischt von uus
Gérard Carau