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die Bosener Gruppe
Text des Monats
Monat 09/2008:
Geborchehät von Lucien Schmitthäusler
Gehäämelte Heimat
"Geborchehät" von Lucien Schmitthäusler ist Text des Monats
Im September 2008 zeichnet die Bosener Gruppe den Text Geborchehät des Lothringer Autors Lucien Schmitthäusler als Text des Monats aus. Darauf hat sich das Kolloquium der Gruppe verständigt. Wie Karin Klee, die Sprecherin der Gruppe, weiter mitteilt, wurde dieses Gedicht ausgewählt, weil es ein besonders gelungenes Beispiel dafür ist, wie klar der poetische Blick auf das, was 'Heimat' ist, ausfallen kann. Zur Bosener Gruppe gehören Autorinnen wie Gisela Bell, Hildegard Driesch, Ursula Kerber, Relinde Niederländer, Helga Schneider und Ute Zimmermann, Autoren wie Peter Eckert, Georg Fox, Bruno Hain, Jean-Louis Kieffer, Heinrich Kraus, Johannes Kühn, Thomas Liebscher, Wolfgang Ohler, Norbert Schneider, Harald Ley und Günter Speyer, sowie Liedermacher und Bühnenkünstler wie Marcel Adam, René Egles, Günther Hussong, Hans Walter Lorang, Walter Liederschmitt, Jo Nousse und Mannfred Pohlmann.
Der Autor Gérard Carau schreibt zu dem ausgewählten Gedicht:
Ich kenne keinen Lothringer, der "sein Land" poetisch so scharf im Blick
hat wie Lucien Schmitthäusler. Er überfliegt scheinbar schwerelos die
Landschaft wie Nils Holgersson auf dem Rücken der Wildgans und hält für
uns in einzigartigen sprachlichen Bildern ihre Schönheit fest, ohne
dabei in Schwärmerei zu geraten.
Eines seiner diesbezüglich besten "Fotos" aus der Distanz und aus
kritischer Nähe zugleich ist das Gedicht "Geborchehät" (erschienen im
Paraple 7). Vieles in den fünf unregelmäßigen Strophen scheint der
Titelaussage zu widersprechen: Ist das wirklich "Geborgenheit", wenn im
Sommer die Wiese kocht, dass die Schermaus fast verdurstet und die
Gewitter nur so knallen?
Es sind nicht Kuscheligkeit und Gemütlichkeit, die diese lothringische
Landschaft ausmachen, sondern die Zacken, jene ungemütlichen Aspekte,
welche sie in den Augen des Autors unverwechselbar charakterisieren: der
Holzgeruch, der Nebel, die Eiszapfen, der Nordwind, die zugefrorene
Saar, das "Kaltnackische" in Herbst und Winter. Was andere vielleicht
stören würde und schaudern machte, lässt unser lyrisches Ich sich erst
so recht wohlfühlen.
Das Land, das Lucien Schmitthäusler auf seiner poetischen Reise
überfliegt, ist nicht von Unangenehmem bereinigt. Der Autor ist zu sehr
Lothringer, als dass er die Wirklichkeit von ein mögliches Idyll
störenden Industrieansiedlungen ausblenden könnte. Warum auch? Die
schwarze Kohle, die verschmutzten Flüsse, die stinkenden Schlote der
Chemie bei Carling sind akustischer, optischer, olfaktorischer
Bestandteil der Landschaft. Aber eben auch die Menschen, die mit den
Industrieanlagen verbunden sind, die sie geschaffen und von denen sie
gelebt haben, allen voran die Bergleute, die heute verschwunden sind und
mit denen sich der ehemalige Kumpel ("min alt Arbeiterherz") weiterhin
verbunden fühlt.
Ein Idyll, wie es so viele "Heimatdichtungen" liefern, wird hier
beileibe nicht gezeichnet. Alles ist "am Breche", die Erde zeigt
insgesamt eher ein Trauergesicht. Und trotzdem beharrt das lyrische Ich
auf seiner "Geborgenheit".
Das ist Heimatliebe ohne Zuckerguss und Schmus. Das ist "Sorch unn Fräd"
über etwas, was man verschwinden sieht, was man festhalten möchte und
doch nicht kann. Poesie eben.
Geborchehät
Wànn Juni 's Hau uff de Wies kocht unn de Scherrmuss verdurschtd im Loch, Gewittre ruggle dass es knallt, noh spiersch de se, die Urgewalt, wu in dem Ländche sin Schproch schprächt... Noh wääsch de, was Lothringe hääscht. Wànn s'Bitscherlànd noh Holzrààch schmackt unn gumbt in Newel ingepackt... unn Ràmme de letschte Niss schnappe... Wànn e paar zuckerne Isszappe unner de rosarote Felse met em Nordwind de Wald abbelze... noh isch es Herbscht odder gar Winter? Noh geht's ganz lies Wihnachte zu. Wànn stiff de Saar, drunne im Dal, sich schlingelt, zugefror unn schmal, unn e gefärbter Owed fellt kaltnaggisch in e Lieschtefeld, uss duschtre Wälder, Tànnebäm. Noh fiehl ich mich richtich dehem. Wànn dort die Kohl schwarz an de Rossel met Schnee e groo'es Friehjohr bosselt. Wànn's bi Schpittel noh Chemie stinkt unn Karlinge de Himmel schminkt met sim Koksowe greller Flàmme, wu Berschmänner de Bodde kràmme in ihrer Nààcht unner'em Dàà, noh hat's de Zitt àn's Dach geschlàà unn aa min alt Arbeiterherz schlààt s'nägscht bi ihrem, noh werd's März. Wànn alles aa am Breche ischt an de Erd ihrem Truurgesicht, fiehl ich mich doch met Fräd unn Sorche trotzdem hemlich dehem... geborche. Fiehl ich doch met Sorch unn Fräd unn singe min Lied grad ze läd.
Lucien Schmitthäusler