Text des Monats

Monat 04/2007:
Öm Agnes sei alt Leijer von Karin Klee

Für den Monat April zeichnet die Bosener Gruppe den Text Öm Agnes sei alt Leijer der Waderner Autorin Karin Klee aus. Die Gruppe hat sich zum Ziel gesetzt, die Mundarten der Region in ihrer besonderen Wertigkeit zu würdigen und die Aktualität der jeweiligen regionalen Sprache unter Beweis zu stellen. Zur Bosener Gruppe zählen unter anderen Johannes Kühn, Heinrich Kraus, Georg Fox, Bruno Hain, Relinde Niederländer, Peter Eckert, Ursula Kerber, Ute Zimmermann, Gérard Carau, René Egles, Marcel Adam, Gisela Bell, Hans Walter Lorang, Manfred Pohlmann und Jean-Louis Kieffer.

Über Karin Klees Gedicht schreibt der Zweibrücker Autor Wolfgang Ohler:

Fast jeder von uns ist zweisprachig aufgewachsen: Die erste Sprache ist die Mundart gewesen, Wörter, die man zu Hause gelernt hat, von der Mutter, dem Vater, den älteren Geschwistern; die zweite, die man in der Schule schreibt, liest und singt, kam später dazu. Diese zweite konnte die erste nie ganz verdrängen: Das Hochdeutsche hat keine Chance gegen das Heimatdeutsch der Straße, der Familie, der Freunde. Man muss allerdings das Glück haben, in einer Straße, einer Familie, bei Freunden zu Hause zu sein.
Oder bei einer Tante, die Agnes heißt.
Die Agnes, an die sich Karin Klee in ihrem Gedicht erinnert, hat ihr Leben singend ertragen: mit Volksliedern und Psalmen, die sie in der Schule und im Kirchenchor gelernt hat, also auf Hochdeutsch. Gedacht und gelebt hat sie dagegen in ihrer Mundart, dem Primstaler Platt, wie sonst. Auf den ersten Blick passt beides nicht recht zusammen, Leben und Lied: Da waren keine Königskinder und kein Knabe und keine weißen Rösser in ihrem alltäglichen Mundartleben. Wie hat Agnes diesen Widerspruch ertragen? Die Autorin erklärt es in ihren Zeilen: Agnes hat gesungen und sich darin ausgedrückt, Kunst als ein Stück Lebensbewältigung. Karin Klee setzt den hochdeutschen Lebenslügen, nicht aber der Musik und der Kunst, ihr Gedicht entgegen: schreibend und weinend, und das selbstverständlich auch in der ersten lebendigen und gelebten Sprache - in der Mundart, die sie mit ihrer "Kurtigoodi" gemeinsam hat.

Öm Agnes sei alt Leijer

Audiodatei anhören – 3035 kB

Ihr Leäwe lang hat se gesong 
emmer gesong:
"Es waren zwei Königskinder" 
wie se jongk woär
"Sah ein Knab' ein Röslein"
wie se freije gang ös 
"Auf einem Baum ein Kuckuck" 
wie ihr Könd noch klää woär
"Aber Heidschi Bumbeitschi"
wie ihr Mann an't sterwe gang ös. 
On 75 Joär öm Körschechor!
Wei leit se hei 
on eisch hiere ihr Stömm: 
"Der Herr ist mein Hirte".
Eisch senge net.
Eisch schreiwe
o kreische.

Karin Klee