Text des Monats

Monat 04/2006:
Die Nachdigall von Wolfgang Ohler
im romantisch-poetischen April

Im Monat April 2006 zeichnet die Bosener Gruppe das Gedicht Die Nachdigall von Wolfgang Ohler als Mundarttext des Monats aus. In ihrem BOSENER MANIFEST hat sich die Bosener Gruppe - Arbeitsgemeinschaft für rhein- und moselfränkische Mundart - zum Ziel gesetzt, die Mundarten der Region in ihrer herausragenden Wertigkeit und Schönheit darzustellen. Zusätzlich soll die Dialektsprache als Möglichkeit einer anspruchsvollen literarischen Gestaltungsform präsentiert werden. Preiswürdige Texte werden auf Vorschlag der Mitglieder der Bosener Gruppe ausgewählt und juriert. Einziges Entscheidungsmerkmal ist die literarische Qualität eines Textes. Zur Bosener Gruppe gehören u.a. die Mundartautoren Johannes Kühn, Heinrich Kraus, Relinde Niederländer, Hildegard Driesch, Helga Schneider, Peter Eckert, Georg Fox, Bruno Hain, Ute Zimmermann, Thomas Liebscher, Manfred Pohlmann und Marcel Adam.

Zu dem ausgewählten Text schreibt die Saarländerin Karin Klee:

Wie kommt es, dass sich ein Jurist Gedanken über eine Nachtigall macht? Hat sie etwas angestellt? Ist sie Teil eines schwebenden Verfahrens? Das Letztgenannte trifft zu: Der Autor Wolfgang Ohler, der im wahren Leben für das Recht in der Pfalz zuständig ist, gönnt sich Ausflüge in die Welt der Poesie. Nicht oft, aber wenn, dann voller Hingabe. Wolfgang Ohler nimmt den Leser mit in seine Straßen und Gassen, zu Orten, die es genauso gibt, wie er sie schildert, die man aber auf diese Weise und mit soviel sprachlichem Rhythmus nie vorher erlebt hat. Sein detailgetreuer Blick auf das profane Erscheinungsbild einer schlafenden Stadt macht die Nacht melancholisch. Der Schwermütigkeit aber will der Autor nicht verfallen, das ist früher einmal Sache der Romantiker gewesen, nicht jedoch die seine. Wolfgang Ohler ringt mit Hilfe einer Nachtigall, also mit einem Teil der realen Natur, der traurig machenden Wirklichkeit ein Stück Glück ab: Auf über-natürliche Weise wird damit die schwere Stimmung leichter. Hier ist der Surrealismus kein Weg, die Welt umzustürzen, zur Revolte aufzurufen oder die Anarchie zu preisen; so etwas würde ein Jurist niemals tun. Ebenso wenig tut das ein Halb-Pfälzer, der das Herz eines Dichters hat. Einer wie Wolfgang Ohler setzt den Surrealismus ganz anders ein: als Stilmittel der Neo-Romantik. Aber vergewissern Sie sich selbst:

Die Nachdigall

Die Stahlhitt fahrt ihr ledschdi Schischd
spät in de duuschder Vorstadtnaacht.
Vum Himmel guckt e Mondgesischd
in Hinnerhööf unn leere Strooß.
Dort an de Eck zuckt Neonlischd,
lockt Kunnschaft zu de Schaschlikbuud.
Es rieschd no Ketchup unn Pommes-frites,
die Leischdreklam lobt Schnell und Gut;
du glaabschs hald, weil de hungrisch bischd.

Do zischt unn brozzelt heißes Fett.
Die dick Madam handiert am Rooschd,
se schwengt die Broodpann uff de Gluud
unn schäägert schrill mit ihre Kunn'.
Es Neon moolt die Libbe bloo.
Grad hann sich zwee gefunn,
die deele froh e Curryworschd
unn losse sisch net steere.
Bis Middernacht kee Verdelstunn.

Mer kann die S-Bahn heere.
Do werr'n uff eemol all'gar still,
es ledschd die Worschdmamsell,
weil se's partout net glaawe will:
Gleich  hinner ihrer Pommesbuud
singt wunnerbar unn glockehell
vesteckt im dunkle Hollerbusch
unn jubiliert aus voller Kehl
die Nachdigall ihr Vollmondlied.

So danzt e Mondlied dursch die Naacht,
bis niwwer zu de Mietskasern
mit ihrem blooe Fenschderlischd.
Unn hunnerd Parabolantenne,
die dreje leis ihr Mondgesischd
zum Imbissstand, zum Hollerbusch.
Die Bilder in de Stuwwe werre hell:
Uff madde Scheiwe blieht de Mond,
in Stereo singt live unn grell: 

DIE NACHDIGALL, DIE NACHDIGALL!

Wolfgang Ohler