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die Bosener Gruppe
Wenn Menschen Poesie lieben,
dann lieben sie auch die Dichter.
Gen. Jewgraf Schiwago
über seinen Bruder
im Roman „Dr. Schiwago“
Niemand musste ihm, dem Raucher, sagen, dass Zigarillos das Leben eher nicht verlängern. Das wusste er selber. Immer erkundigte er sich danach, wie es zuhause geht und wie es um das Schreiben steht. Er, der Zuhörer, der Beobachter, der Menschenfreund ist gegangen. Der Dichter verlässt uns nicht, er bleibt. In seinen Texten.
Unser Nestor hat sich auf seine letzte Reise begeben. Herbst. Die Ernte ist eingefahren. Die Früchte sind gepflückt, fast überall ist die Traubenlese abgeschlossen. Nur die Blumen blühen im Überfluss. Die Rosen schicken eine Nachblüte, nicht mehr so üppig wie im Frühsommer, aber immerhin; Zinnien, Dahlien, Herbstastern, sie stehen dem Sommerflor nicht hinterher. Auch unser großer Lyriker hat seine Ernte eingefahren und wird der Nachwelt weiterhin seine bunten Blumen als Texte und Bilder blühen lassen. Ob er, der „Winkelgast“ sich diese Schönheit noch einmal anschauen konnte, ehe er seinem Herrgott sagte: „Es ist genug?“
Johannes Kühn war in der Bosener Gruppe ein regelmäßiger Teilnehmer. Er konnte gut zuhören und trug vielfach mit sehr fundierten und kenntnisreichen Beiträgen zur Arbeit der Gruppe bei. Sein umfangreiches Wissen bereicherte die Diskussionen ungemein. Im Laufe der Herbst- und Frühjahrstagungen vergaß man fast, dass hier einer der bedeutendsten Dichter Deutschlands mit am Tisch saß. Ganz präsent sind mir auch manche Gespräche mit ihm im Gasthaus Huth, wo ich ihn in seiner Dichter-Ecke besuchte, bei ihm zu Hause und nicht zuletzt bei manchen Autofahrten zwischen Hasborn und Bosen.
Besonders erinnere ich noch einen Nachmittag, wo Johannes mit mir einen Rundgang durch Püttlingen und Köllerbach machte. Er stand am Köllerbach und schrieb dort mehrere Gedichte über den Ort, die er mir später übermittelte. Die Handschriften liegen heute im Archiv der Stadt Püttlingen. Kühn war ein bescheidener Mensch, dessen humorvolle Seite zum Vorschein kam, wenn man ihn näher kennenlernte. Die zahlreichen Ehrungen, die ihm zuteilwurden, nahm er mit einer stoischen Gelassenheit zur Kenntnis. Bezüglich eines Wanderweges, der nach ihm benannt wurde, erläuterte er mir, dies habe er nur zugelassen, wenn er damit keine Verpflichtung hätte, den Weg täglich abzugehen. Als ihm der Titel Professor zuerkannt wurde, sagte er mir, er würde aber in der Universität keine Vorlesungen abhalten.
Einmal erzählte er schmunzelnd, wie ihm in Hasborn bei einem Sturm der Hut vom Kopf geweht wurde. Sein Hut flog über die Straße, wo gerade ein Auto kam. Der Fahrer hielt kurz an, sprang aus seinem Auto, schnappte sich den Hut des Dichters und fuhr dann weiter. Johannes sinnierte darüber, was der Mann wohl mit seinem Hut anfangen könnte. Als ich ihm sagte, dass der Hut vielleicht bei Ebay als Hut eines Dichters versteigert würde, schmunzelte er, glaubte es natürlich nicht. Johannes Kühn bleibt mir als geistreicher Gesprächspartner in Erinnerung. Von ihm habe ich sehr viele Anregungen erhalten, die für meine eigenen Arbeiten eine wichtige Bedeutung hatten. Mit dem Tod eines nahen Menschen verliert man vieles, aber niemals die gemeinsam verbrachte Zeit.
Gérard Carau hat nebenstehenden Text in der Mundartkolumne Saarmòò veröffentlicht (Saarbrücker Zeitung vom 24.10.2023).